Die Entdeckung des Lichts
allgemein bekannt sei. Das Wissen, meinte er, explodiere geradezu: »Lange dauert das nicht mehr.« Ein Ehepaar redete über ein Buch, das die Geschichte Grönlands behandelte, es war aus dem Deutschen übersetzt worden und jetzt erschienen.
Den sandigen Teil der Themse hatten sie fast hinter sich, das Wasser war etwas klarer geworden, aber immer noch als dreckig anzusehen. Schon lange atmeten sie Meerluft. Schließlich erreichten sie die Mündung, und man musste sich festhalten. Sie drehten südwärts. Die französische Küste kam in Sicht, dann steuerbords die Häuserfront von Ramsgate.
Lange blieb er sitzen und sah auf die Promenade, bevor er an Land ging. Ein Junge nahm ihm die Tasche ab und bot ein Zimmer an. Faraday ließ sich in eine kleine Wirtschaft bringen, die nur ein paar Straßen vom Wasser entfernt war. Auf die Frage, wie lange er bleibe, sagte er, ohne zu überlegen: »Eine Woche.«
Er hatte Brande einen Zettel auf den großen Tisch des Labors gelegt, wegen seiner Kopfschmerzen benötige er dringend ein wenig Erholung und hoffe, sich die Abwesenheit von maximal sieben Tagen erlauben zu können. Gelogen war das nicht. Brande war sicher froh, dass sein Helfer vernünftig wurde.
Nach einigen Vorbereitungen, die er bei einem Tee verbrachte, konnte er das Zimmer ansehen, das er akzeptierte, obwohl es feucht war. Den Jungen schickte er los, im Ort zu erkunden, wo Mrs. Barnard und Mrs. Reid logierten. Nach einer Stunde kam er mit dem Ergebnis zurück. Er hatte es geschickt angestellt, die Damen wussten nichts von der Erkundung. So konnte er gleich wieder losgehen, in der Hand eine Nachricht vom Naturphilosophen Michael Faraday, den hier kein Mensch kannte, denn Philosophen gab es hier nicht, an Sarah Barnard: »Verehrte, liebe Sarah, sieh es mir nach, dass ich auch gekommen bin. Wenn es Dir möglich ist, so lasse mich wissen, wo ich Dich morgen treffen kann. Dein bescheidener Diener, Michael.«
Der Junge war bald mit der nur mündlich übermittelten Nachricht zurück, sie werde ihn morgen wissen lassen, ob sie Zeit habe. Natürlich fragte Faraday den Jungen nicht, ob sie erfreut gewesen sei oder empört oder bloß schockiert und ratlos. Je unhaltbarer seine Situation wurde, desto einfacher war sie zu ertragen. Er fand sogar zwei oder drei Stunden Schlaf.
Sarah Barnard hatte Zeit. Das erfuhr er beim Frühstück. Sie freue sich, ihn um zehn Uhr auf der Promenade zu sehen, am Eingang zum Ausleger. Das hieß noch gar nichts.
Das Licht war auch in der Nebenstraße schon hell, wie immer an der See, und es schmerzte nicht ganz so sehr wie am Tag zuvor noch die Sonne in London. Die Luft war warm und voller Salz und Fischgeruch und Vogelkreischen.
Sarah freute sich, ihn zu sehen.
»Du bist mir nachgereist.« Sie war fröhlich und sehr zufrieden.
Er lächelte vorsichtig und befürchtete, blöde zu wirken.
»Du meinst es wirklich ernst.«
Zum ersten Mal standen sie sich mit nichts anderem als der einen Frage gegenüber. Sie waren endlich einmal allein. Würde sie mit dem Blick auf das Wasser entscheiden, jetzt den Schritt in ihr Leben zu tun? Mit ihm Jahrzehnte zu wohnen, falls sie Jahrzehnte leben sollte. Ihn an die Stelle ihrer vertrauten Schwester zu setzen, ihn im Schlaf atmen zu hören, auf seine Regungen und Gerüche, Krankheiten und Launen einzugehen, seinen Bart wachsen zu sehen, sich an ihn zu schmiegen, ob sie sich das vorstellen konnte: Das fragte er sich.
Kinder zu bekommen: Das fragte sie sich.
Alt zu werden versuchen, gemeinsam.
Und wenn nicht mit ihm, mit wem dann? Ein Sandemanier würde diese Entscheidung niemals wieder neu überdenken, zwei würden es schon gar nicht tun. Das sprach für ihn. Es war so leicht, jetzt einfach in die Sommerluft hinein Ja zu sagen, sie spürte, wie die Rädchen ineinanderfallen wollten, um ein Getriebe zu bilden und endlich die Welt wieder rotieren zu lassen: Vielleicht!
Sie badete in seinem Antrag. Lange beobachtete sie zwei Möwen, die im Wind spielten, dann die Fischer, die ihren Fang auf dem Sand sortierten und von einem Volk mordlustiger Vögel umgeben waren, die sich auf jede weggeworfene Innerei stürzten, als sei es die letzte. Auch Faraday spürte, wie nah das Ja jetzt war. Er beobachtete sie unbefangener als zuvor. Vielleicht war alles eine Einbildung, die sich auflösen konnte? Wer würde das entscheiden? Feuchtigkeit legte sich auf ihr Gesicht, sie schloss die Augen und drehte sich in den Wind, wie es jeder an der See macht, und sie war niemandem
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