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Die Entdeckung des Lichts

Die Entdeckung des Lichts

Titel: Die Entdeckung des Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Bönt
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nickte.
    »Hast du Ramsgate schon gesehen?« Sie lachte vorsichtig in den Wind und noch mehr in sein Herzklopfen, das sich nicht bremsen ließ.
    »Ja, ein bisschen«, hörte er sich sagen, »aber das reicht auch.«
    Es gefiel ihm nicht? Sarah war nur verwundert.
    »Ärmlich«, sagte Faraday, »ganz arm. Hier ist gar nichts in Bewegung.«
    Sie schlug die Richtung vor, in die er schon am Vormittag gegangen war, vom Ort weg. Er nickte. Hände in den Taschen und mit dem Blick auf den Boden setzte er sich in Bewegung. Er starrte wieder auf die Rillen im Sand.
    So schlimm finde sie es nicht – Sarah sagte das nach ein paar Minuten, die sie still gegangen waren und in denen das schon am Morgen aufgekommene Mitgefühl für ihn die aufgeregte Freude, die sie eben noch in sich hatte, wieder in den Hintergrund gedrängt hatte. Sie wollte hier doch ein paar Wochen verbringen und sich das nicht schlechtreden lassen.
    »Was?«
    »Ramsgate.«
    Das Wort tat ihm im Ohr weh, »Rams-gate«. Es klang wie »nicht sein« oder »weg sein« oder »nicht ich«.
    Er nickte nur.
    »Ich mag das hier.«
    Und nach einer halben Minute: »Die einfachen Leute.«
    »Ich weiß gar nicht«, meinte er, den Blick weiter auf den Boden, meist auf die Schuhspitzen und manchmal auf den Saum des Wassers gerichtet, »wie an einem solchen Ort sich jemals etwas verändern soll.«
    Am Rand jeder Wasserzunge, die erst den Sand hoch-, dann zurück ins Meer lief und eine dünne Wasserschicht zurückließ, die sehr schnell und gleichmäßig in den Sand sickerte wie in einen Schwamm, bildete sich eine kleine Schaumlippe.
    Sarah schwieg, nicht verärgert, nur irritiert.
    »Hier denkt niemand daran«, sagte er barsch, »sich zu verbessern.«
    Und weil sie stumm blieb: »Abends noch am Leben zu sein, reicht den Leuten schon.«
    Wie jeder in der Gemeinde wusste auch Sarah Barnard um die Armut, aus der die Familie Faraday gekommen war. Margaret hatte sonntags manchmal davon erzählt, allerdings mit einer Fröhlichkeit, als ob sie von einem Säugling sprach, den sie gegen alle Prognosen durchgebracht hatte und der gerade heiratete.
    Was sollen sie auch sonst machen, dachte Sarah vorwurfslos, versuchte ihn aber abzulenken: »Von der Klippe da oben sieht man weit. Wenn das Wetter günstig ist, haben sie mir gesagt, kann man sogar die Kirchtürme der Franzosen sehen.«
    Er dachte nur kurz an seinen Kollegen De la Rive, genauer: an die Korrespondenz mit ihm, denn Faraday berichtigte, die Klippen seien ja ausgesprochen klein und die Sicht hänge gewiss nicht von der kleinen Anhöhe ab: »Von hier unten ist es bei guter Sicht nicht anders als von solch einer kleinen Klippe.«
    Vor Augen hatte er den Vesuv und die Alpen und überlegte, wie er sie mit den Klippen vergleichen sollte, als er bemerkte, dass Sarah sich gegen etwas sperrte. Intuitiv hielt er inne.
    Sie waren jetzt eine Dreiviertelstunde unterwegs. Der Sand war von Kieselsteinen und Geröll abgelöst worden, die Wellen brachen und zerlegten sich in viele kleine Spritzer. Vor ihnen lag die Pegwell Bucht, ein Rand aus abbrechender Kreide, zwei andere Schichten darüber, oben wenig grüner Bewuchs.
    »Da ist Cliff’s End«, hätte Sarah sagen und geradeaus auf ein paar Häuser zeigen können, die sie bereits am Vortag von hier aus gesehen hatte. Sie hielt aber nur ihren Hut fest, der Wind hatte zugenommen, während sie zügig über die Steine ging und jede Synchronisation mit seinem Gang verweigerte.
    Auch er schwieg jetzt.
    Er schwieg von den toskanischen Hügeln und der toskanischen Vegetation, vom Schnee auf dem Tenda-Pass und vom Lavastrom in der Campagna und der Kuppel von St. Peter.
    Bevor sie Cliff’s End erreichten, waren sie auf den größer werdenden Steinen voreinander hergeklettert und gerutscht und gestolpert. Er war froh um die Beschäftigung gewesen. Als sie wieder Sand unter den Füßen hatten, liefen sie lose nebeneinander her, genau wie die Fremden, die sie einander waren. Mal beschleunigte Sarah den Schritt, um mit dem Fuß einen im Sand liegenden Gegenstand wegzukicken, ein anderes Mal verlangsamte sie ihn und beugte sich nach einer Muschel, damit er sie überholte und sie ihn anschauen konnte. Sie mochte die Art, wie er ging, hätte gerne gewusst, was er sich fragte.
    Ob er der Situation gewachsen war, ob er glaubte, das Herz gewinnen zu können, das er umwarb? Oder ob er nur den Beweis suchte, er könne es nicht?
    Vor dem Nachbarort holte sie ihn ein, drehte sich plötzlich zu ihm, sie hatten lange

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