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Die Entdeckung des Lichts

Die Entdeckung des Lichts

Titel: Die Entdeckung des Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Bönt
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Trotzdem war man am Ende des Jahres ratlos, weil die Lebenserwartung sank, von Mitte dreißig auf unter dreißig. In Bethnal Green wohnten die am schlechtesten bezahlten Arbeiter, die Diebe und Opfer der Prostitution. Oft teilten sich fünf oder sechs Menschen ein Bett, und die Iren, die das ganze Jahr barfuß liefen, schliefen auf nackten Kellerböden. Ihre Schweine hielten sie, wenn kein Platz für einen Stall da war, in den Häusern, in denen es meist keine Türen gab, aber auch keine Möbel, die man hätte stehlen können. Abfall und Asche lagen vor den Eingängen, wo sich die darübergeschütteten schmutzigen Abwässer in stinkenden Pfützen sammelten. Der Hunger regierte, und dank des vom Pferdekot verursachten Sommerdurchfalls, dank Cholera, Typhus, Tuberkulose, Scharlachfieber und weiß Gott was, denn oft wurde als Todesursache »Visitation Gottes« angegeben, lag die Lebenserwartung in Bethnal Green bei sechzehn Jahren.
    Auf dem Land erreichte man in manchen Orten siebenundfünfzig Jahre. »Vielleicht«, sagten die auf ihr Latein stolzen Ärzte, »weil man auf dem Land eine natürliche Vakzination erhält.«
    Auf Nachfrage, auf die sie es angelegt hatten, erklärten sie den Segen der Durchseuchung mit Kuhpocken und dass sie scheinbar nicht nur vor allen Pockensorten, sondern auch vor anderen Krankheiten schützte. Andere meinten, die Injektionen mit dem Sekret aus den Geschwüren der Kühe hätten erst für die heillosen Epidemien gesorgt, die immer mehr und unübersichtlicher würden.
    »Das ist kriminell«, hieß es.
    Es werde die Menschheit vernichten.
    Manche behaupteten, dass die besseren Teile der Gesellschaft mehr über die Antarktis und das Erdmagnetfeld wüssten als über Bethnal Green, während Faraday versuchte, sich auf etwas zu konzentrieren, das ihm Fortschritt versprach, Fortschritt durch Verstehen und die damit zusammenhängende Verbesserung des Geistes. Er vermutete, dass die Diffusion der magnetischen Kraft Zeit benötigte. Zeit, wie auch der Schöpfer sie benötigt hat, um die Welt zu schaffen, wie die Wasserwelle sie benötigte, um das Ufer zu erreichen, und er selbst für jeden Gedanken, der zu einem Abschluss kommen sollte. Wie das Sonnenlicht sie benötigt, London und den Rest der Welt zu erhellen. Kein Anhänger Newtons hätte ihm zugestimmt, denn Kräfte waren nach Newton immer schon am Platz, sie zerrten immer schon am Apfel und rissen ihn ab, sobald die Kraft des Stiels nachließ, und niemals hätte Faraday laut gesagt, er glaube, die Eisenspäne stellten das Licht dar, ohne das
es kein Leben gab und dessen Geschwindigkeit endlich war und nicht unendlich.
    Aber er hatte diese Idee in einem verschlossenen Briefumschlag bei John George Children in der Royal Society hinterlegt, auf die mangelnde Zeit hinweisend, die ihm in der Institution zum weiteren Experimentieren im Moment blieb.
    »Höchstwahrscheinlich«, hatte er geschrieben, sei die Theorie der Vibration, wie man sie von einer Wasseroberfläche oder dem Schall kenne, »auch zutreffend für das Licht«. Und für Elektrizität. Er wolle das experimentell verifizieren, sobald er Zeit habe, er wollte also, was andere sich nicht trauten: Newton, der keine Zeit zur Ausbreitung einer Kraft vorgesehen hatte, stürzen. Und eben nicht um des Stürzens, sondern um der Wahrheit willen. Bloß wusste er nicht, ob seine Kraft dafür noch reichte.
    Sein Freund John Frederick William Herschel schickte ihm den Arzt Dr. Robinson zu Besuch. Er war ihm von Dr. Ferguson empfohlen worden, dem Generalinspektor der Militärhospitäler und Arzt am Hofe. Gleichgültig ließ Faraday ihn ein und zeigte ihm das Labor. Sie sprachen ein wenig über Galvanismus, und Faradays Laune besserte sich, als er dem Mann die Induktion zeigte.
    »Sehr schön«, sagte der wenig interessiert und ließ seinen Blick durch den Raum gleiten. Faraday befremdete das. Dies war sein Labor.
    »Wissen Sie, ich bin auf Toxine spezialisiert.«
    Ohne jedes Verständnis sah Faraday ihn an.
    »Unter anderem.«
    Der Mann beobachtete die zitternden Hände seines Gastgebers, der sich fühlte, als starre der Mann ihm unversehens in den Schritt.
    »Womit arbeiten Sie hauptsächlich?«
    Faraday verstand nicht. Er wollte es auch nicht.
    »Quecksilber?«
    Faraday bemerkte streng, dass er jetzt an die Arbeit müsse.
    »Haben Sie oft Kopfschmerzen?«
    Er habe wenig Zeit, sagte Faraday aggressiv, er sei gewiss Manns genug, seine Arbeit zu tun, wie er sie immer getan habe. Robinson verstand. Ob

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