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Die Entdeckung des Lichts

Die Entdeckung des Lichts

Titel: Die Entdeckung des Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Bönt
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waren von den Liebenden nicht leicht zu unterscheiden, jedenfalls wenn man nicht vom Fach oder selbst ungeliebt war.
    Die Liebenden konzentrierten sich, um die Liebe bei Laune zu halten, auf weitere Opfergaben. Andrew Crosse hatte einen Brocken vom Vesuv unter Strom gesetzt und wochenlang mit Kaliumdisilikat und Salzsäure betropft, um Kristalle zu züchten. Nach vierzehn Tagen bildeten sich die ersten Formen aus, die wie Brustwarzen aussahen, nach achtzehn Tagen entstanden daraus längere Fäden, und am sechsundzwanzigsten Tag nahmen sie die perfekte Form von Insekten an. Achtundvierzig Stunden später lösten sie sich vom Stein und bewegten sich langsam durch die Schale ihrer Geburt.
    Crosse wurde von den einen gefeiert als endgültiger Entdecker des Lebensrätsels, es hieß Elektrizität, von anderen wurde er als Blasphemiker verteufelt und als Materialist beschimpft. Er wehrte sich gegen die einen wie die anderen: »Mehr als ich beobachtet habe«, sagte und schrieb und wiederholte er sich vergebens, »habe ich nicht weitergegeben.«
    In Fraser’s Magazine erschien die Erzählung »Der neue Frankenstein«, in der ein deutscher Student versucht, dem Monster eine Seele zu besorgen, indem er ein ägyptisches Grab aushebt, dort aber auf ein Loch im Boden stößt, aus dem Satan persönlich und ungeachtet einer Seele oder keiner Seele nach beiden Männern greift.
    Auch Faraday musste, nachdem Kollegen am Freitag in der Institution über Crosse vorgetragen hatten, Gerüchte dementieren, er habe die Experimente kommentiert. Er wisse nicht, wodurch die Insekten zum Leben erweckt worden seien, schrieb er, und »Elektrizität und Silikat sind nach meinem Eindruck zufällige Komponenten, keine essenziellen«.
    Nein, er plane keine eigenen Experimente dazu. Ein Jahr später zeigte er zwar, dass ein Zitteraal seine eigenen magnetischen Feldlinien besaß. »Die nervöse Energie«, beeilte er sich aber festzustellen, »ist nicht dasselbe wie das Lebensprinzip selbst.«
    Medizinischer Galvanismus boomte davon ungestört. Neben Leberproblemen, chronischen Kopfschmerzen, Taubheit, Störungen der Sehkraft, Epilepsie, Blödheit, visuellen Erscheinungen, wie zum Beispiel weißen Katzen, oder Lähmungen jeder Art gab es kaum etwas, das man nicht mit Elektroschocks behandelte. Medizinische Induktionsspulen kosteten doppelt so viel wie direkt beim Instrumentenmacher bestellte, was das Vertrauen der Patienten stärkte. Elektrizität wurde mit Kontrolle gleichgesetzt, wobei es Abstufungen gab und natürlich auch Grenzen: Bei Frances Clerk Maxwell wurde Magenkrebs diagnostiziert. Sie konnte zwischen sicherem Tod und wenig Hoffnung durch eine Operation wählen. Eine Betäubung stand nicht zur Verfügung.
    Sie wählte die Operation und starb wenig später. Ihr Sohn
James kümmerte sich fortan um seinen Vater und ließ kein Fehlen einer Antwort auf seine Fragen gelten.
    Auch gegen Faradays Hirnpflanzen half kein Galvanismus. In den Jahren nach der Entdeckung der Induktion wurde er nicht nur zu jedem möglichen und unmöglichen Thema befragt. Er wurde zum korrespondierenden oder Ehrenmitglied wissenschaftlicher Gesellschaften und Akademien von Petersburg bis Palermo und Philadelphia gemacht, von Oxford und Cambridge bis Göttingen, und immer wies er auf seine schlechte Gesundheit hin. Arbeiten von Kollegen las er kaum noch, die Wissenschaft der Elektrizität, die er gerade erst in wenigen Monaten restlos umgestürzt und erneuert hatte, ohne dass einem Kollegen etwas zu entdecken geblieben wäre, entwickelte sich »zu schnell, als dass ich folgen könnte«.
    Sein Gedächtnis, beteuerte er, lasse weiter nach. An Gedächtnisübungen war nicht zu denken, nur an das Gegenteil: Ruhe.
    »Nichts«, schrieb er seiner Frau aus Liverpool, »entspannt mich so wie das Zusammensein mit dir, und wie ich das schreibe, stelle ich fest, dass ich es laut sage, als wärest du hier.«
    Er überlegte zwischenzeitlich gar, ob er nicht mehr über Elektrizität und Magnetismus nachdenke, als lohnend sei. Die Besprechung eines geplanten Altersgeldes, zu der ihn Finanzminister Lord Melbourne gebeten hatte, endete in einem Eklat: Wutentbrannt flüchtete Faraday nach einer flapsigen Eingangsbemerkung des Lords aus dessen Büro. Wochenlang musste die Affäre aufgearbeitet werden. Er wurde »fett« und machte darüber Witze. Er verdächtigte das kalte, feuchte Klima des Kellers, für seine Lahmheit verantwortlich zu sein, obwohl er das nicht beweisen könne. Niemals auch

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