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Die Entdeckung des Lichts

Die Entdeckung des Lichts

Titel: Die Entdeckung des Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Bönt
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diese Schmerzen sich wohl anfühlen mochten und wie die Erschöpfung, von der er immer sprach. Sie fühlte mit und hatte Angst, es genauer zu erfahren.
    »Das Leben«, war Faraday sicher, und er blickte seine Frau mit großer Müdigkeit an, oder war es Milde oder Glück, so mit ihr sprechen zu können, »ändert sich von Grund auf.«
    Dass es zum Guten sein würde, stellten sie nicht infrage, während täglich die Choleraopfer aufgelistet wurden: Hundertacht-undneunzig in Sunderland, hundertsieben in Newcastle, dreiundsechzig in Gateshead, neun in North Shields und Tynemouth, keines in North Shields und Westoe, vierzehn in Mouthon-Le-Spring, vier in Haddington. Die Seuche schien sich in bestimmten Straßen niederzulassen, aber die Ärzte kamen trotzdem nur einmal am Tag. Zu selten, fand man allerorts.
    Es wurden Choleraärzte eingestellt.
    Edinburgh, dessen Häuser wie die in Paris fünf oder sechs Stockwerke hatten, dessen Straßen oft so eng waren, dass man aus dem Fenster des einen Hauses in das des anderen steigen konnte, zwischen denen die Luft niemals abzog, wo es kaum fließendes Wasser oder einen Abtritt gab und von dessen Bewohnern sich die Londoner erzählten, sie nähmen ihre Pferde über Nacht mit hinein, wurde in den ersten Januartagen erreicht. Charles der Zehnte beantragte einen Pass für seine Heimat, und am selben Tag wurde ein junger, unbekannter und kerngesunder englischer Studienabbrecher namens Charles Robert Darwin vor Teneriffa nicht von Bord der Beagle gelassen. Wegen der Cholera sollte er erst mal zehn Tage Quarantäne einhalten.
    Deshalb beschloss der Kapitän FitzRoy, gleich zu den Kapverden weiterzusegeln. Nur von Weitem konnte Darwin deshalb den Vulkankegel El Teide gleichzeitig im Wasser, in der Sonne und der Zeit liegen sehen. In aller Gelassenheit schien der Berg eine Andeutung davon geben zu wollen, was die Natur zu sein vermochte. Auf halber Höhe zierte ihn ein schmales, waagerecht in der Welt liegendes Wolkenband, oben trug er großflächig Schnee. Das reflektierte Licht schmerzte in den Augen des neugierigen Mannes, und vor der schieren Existenz fühlte er sich gleichzeitig klein und unbedeutend wie groß und geküsst: Das war nicht zu entscheiden.
    Offenbar war er hier, offensichtlich war er Teil eines Ganzen.
    »Unmöglich«, dachte er überwältigt und außer sich vor Enttäuschung, nicht an Land gehen zu können, »dass dies nur Verschwendung sein soll.«
    In aller Ruhe wechselte das Licht, und die Nacht ließ Minute für Minute mehr Sterne über dem Riesen sehen. Der junge Mann auf der nach Süden davonsegelnden Beagle verstummte.
    In Edinburgh atmete nicht nur eine Frau namens Frances Clerk Maxwell auf, als bekannt wurde, dass die Seuche sich nicht weiter ausbreitete. Sie war fast vierzig, schwanger und hatte ihr erstes Kind, eine Tochter, begraben müssen. Nur wenige Tage später, am 13. Februar, die englischen Toten hatten sich auf über tausend addiert, hatte die Cholera aber wieder in der anderen Richtung Strecke gemacht und sich unweit von Woolwich in Rotherhithe und Limehouse im Londoner Osten niedergelassen.
    Das erste Opfer, hieß es, habe kurz vor seinem Ende kältere Hände gehabt als danach. Man stritt darüber, ob es die Cholera war, bis man sich einigte: Es war die Cholera. An Aufhalten dachte niemand mehr in der Millionenstadt. Dass hier gerade das Zeitalter der Dampfmaschine zu Ende gegangen war, ahnte niemand, und Faraday erwog auch dieses Mal keine Sekunde, ein Patent anzumelden.
    »Ich habe alles da«, sagte Sarah beim Frühstück, weil ihr am Abend das Thema zu riskant gewesen war: »Opium, Pfefferminze, salpetrige Säure.«
    Ob die Konzentration stimme, wollte Faraday wissen, wie sie zu sein habe, ob man das überhaupt wisse?
    »Ja. Erst haben sie mir Salpetersäure gegeben.«
    Ob sie Angst habe.
    »Du nicht?«
    Er glaube nicht, dass es sehr viele Opfer geben würde: »In Sunderland und Edinburgh haben es auch nur Einzelne bekommen. Genau wie hier.«
    Sarah weinte.
    »Man muss versuchen, möglichst kühl zu denken.«
    Sie drehte sich mit bebenden Schultern weg.
    »Haben wir sauberes Wasser für die Pfefferminze?«
    »Wieso?« Immerhin hörte sie auf zu weinen, sah ihn wieder an. Er zuckte mit den Schultern, und nachdem sie noch eine Weile dagesessen hatten, die Hände auf dem Tisch ineinandergelegt, die Köpfe leer, ging er in den Keller, wo er so hektisch daran arbeitete, die Induktion in größere Stromerzeugung umzusetzen, als sei er bedroht. Sogar

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