Die Entdeckung des Lichts
würde er die Institution verlassen, in der er wie eine Schnecke auf einem Stein sitze, die anderswo nicht mehr hinkomme, noch heimisch werden könne ...
Außerhalb des Labors griff Unsicherheit um ihn. Wieder und wieder wusste er nicht, welche Briefe er beantwortet hatte, welche nicht. Er bat um Erinnerungen. Seine Mutter starb im Alter von glücklichen vierundsiebzig Jahren. Während Königin Victoria den Thron bestieg, den sie erst wieder freigeben sollte, als Albert Einstein gerade Schweizer Staatsbürger werden wollte und seinen ersten Artikel in den Annalen der Physik publizierte, hoffte Faraday, dem Freund William Whewell nicht auf die Nerven zu gehen: »Sonst schmeiß meinen Brief einfach ins Feuer.«
In einer Abrechnungsfrage konnte er »Ordnung nicht von Unordnung unterscheiden«. Anfang Juni 1839 sandte er seinem Freund Charles Babbage, der ihn eingeladen hatte, Lady Lovelace kennenzulernen, eine Arbeit, die er ihm bereits Ende Mai schon einmal gesandt hatte. Statt »animals« schrieb er dabei »enamils«. Die Einladung lehnte er, obschon sie sehr verlockend sei, ab: Freitags habe er keine Zeit. Er gab ja noch Vorlesungen.
Ein Unbekannter schickte ihm Pläne für ein schnelles Luftfahrzeug, das hohl sein müsse und stabil genug, um ausgepumpt werden zu können, ohne zu kollabieren. Ein Schaufelrad würde dann Tempo erzeugen, steuern könne man mit Paddeln.
An drei Tagen die Woche war Faraday fortan für niemanden
zu sprechen. Dem Portier machte er das so klar, dass selbst Benjamin Abbott, der schon lange nicht mehr in London lebte und seinen Jugendfreund seit Jahren nicht gesehen hatte, abgewiesen wurde.
Administrative Aufgaben in Institution oder Society hatte Faraday eine nach der anderen gestrichen oder abgelehnt, die Freitagsvorlesung war neben dem Labor die letzte Verpflichtung. Einmal erschien die Gräfin Lovelace.
Bevor sie ihm aber persönlich schrieb, wandte sich der Architekt und Bauleiter des Themsetunnels, Marc Isambart Brunel an Faraday. Seine Arbeiter wurden durch Gase krank, die aus dem Schlick der Themse, dem Abwasser der Millionen, entwichen. Mit Schwindel brächen selbst die stärksten Kerle zusammen, schwach bis zur Orientierungslosigkeit seien sie und erholten sich kaum. Brunel legte eine Probe des Schlicks bei, das Gas hatte er schon früher einmal geschickt. Faraday empfahl überreiche Belüftung, sonst wisse er leider auch nichts, und rief noch im selben Jahr eines Freitagabends den Hofarzt Dr. Peter Latham, der Faraday blass, schielend und so schwindelig vorfand, dass er kaum laufen konnte. Er selbst hielt sich für überarbeitet.
Der Arzt ließ ihn an beiden Schläfen zur Ader. Dann schickte er ihn, nicht ohne dass Faraday am nächsten Tag noch die Vorlesung gehalten hätte, nach Brighton: totales Arbeitsverbot. Nach drei Wochen kam er für wenige Tage in die Stadt, in besserer Verfassung, so meinte er, aber noch mit schlimmen Kopfschmerzen und anderen »fliegenden Gefühlen«, sodass weiteres Pausieren sicher das Beste sei.
Der Chemiker John Frederic Daniell schlug ihm vor, aus der Stadt zu ziehen, die Aufregung der Albemarle Street sei es doch, die zu groß sei für die Gesundheit.
An Jean-Baptiste-André Dumas in Paris schrieb Faraday, er habe als Einsiedler und unsozial, wie er sei, kein Recht, die Vorteile einer Gesellschaft in Anspruch zu nehmen, zu der er seinen Teil nicht beitrage. Dies gelte auch dann, wenn es, wie er hoffe, nicht durch ein kaltes oder mürrisches Herz, sondern durch die Umstände begründet sei, zu denen mentale Erschöpfung und der Verlust des Gedächtnisses gehörten. Dumas hatte Faraday zur Wahl des Auswärtigen Mitarbeiters der Académie Française nominiert. Die Zeit, mehr als ein korrespondierendes Mitglied zu sein, das fühlte Faraday deutlich, war vorbei.
Er vertauschte Namen und Monate und schrieb kaum einen Brief ohne Bemerkung zum Nachlassen der Kräfte. Und einmal, ohne zu wissen, was er in den Minuten vor dem Auspacken getan hatte, hielt er einen Stich in der Hand, den er sich gewünscht hatte. Er zeigte eine junge Dame, die linke Schulter im Vordergrund, einen Fächer unbeachtet in Händen, den Unterarm entblößt, Blumen im Haar. Eine spitze Nase sah aus dem Bild heraus, mit Augen und Mund, die Faraday nicht zarter, nicht galanter, nicht mit gespielterer Unschuld und frecher ansehen konnten. Es tue ihr leid, ließ ihn die Gräfin Lovelace im Begleitschreiben wissen, keinen Abzug mehr zu haben, den sie hätte signieren können.
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