Die Entscheidung liegt bei dir!
Gorleben gelangen kann.
Dass sie ihre Pflicht erfüllt, bedeutet freilich nicht, dass sie von ihrer Aufgabe überzeugt ist. ›Wenn ich die Wahl hätte, würde ich lieber demonstrieren als den Castor verteidigen‹, sagt Tanja B., die zum ersten Mal bei dem Transport dabei ist. Denn sie ist sich sicher, dass radioaktive Strahlung aus den sechs Behältern dringt und der Umgebung Schaden bringt. Doch sie hat nicht die Wahl, und deswegen muss sie nun jene, die ihrer Ansicht nach Recht haben, zurückdrängen.« (
FAZ,
Nr. 54 vom 5.3.97)
Dieses Zitat aus einem Zeitungsartikel zeigt besser als jede theoretische Herleitung, wie wir uns programmiert haben. Tanja B. glaubt, keine Wahl zu haben (was dienstrechtlich falsch ist), und die angesehene
Frankfurter Allgemeine Zeitung
bestätigt die arme Polizistin: Keine Wahl! Sie ist wirklich zu bedauern! Und da Selbstverletzung den Samariter-Reflex des Publikums mobilisiert, lehnt sich der Leser seufzend zurück: »Is’ auch wirklich ’ne arme Socke!«
Tatsache aber ist: Tanja B. hat Preise verglichen, und der Preis der Einsatzverweigerung war ihr zu hoch. Vielleicht wäre ihre Polizeikarriere ins Stocken gekommen. Vermutlich hätte sie sich den Spott ihrer Kollegen zugezogen. Sicher wollte sie nicht als feige gelten. All das wollte sie vermeiden. Das ist allemal verständlich, und auch ich kann ihr Dilemma lebhaft nachempfinden. Aber es ändert nichts an der Tatsache, dass sie sich entschieden hat. Sie hatte die Wahl, und sie hat sich für eine der Möglichkeiten entschieden. Kein Grund also, sie zu bedauern.
Viele Angestellte rechtfertigen beispielsweise ihre Versetzung in eine andere Stadt oder gar in ein anderes Land |27| gegenüber ihrer Familie oft damit, dass sie »keine andere Wahl« gehabt hätten. Ich will nicht Entscheidungsprozesse verharmlosen, die persönlich oft als dramatisches Wechselbad der Gefühle erlebt werden. Ich kenne diese innere Zerrissenheit aus eigener Erfahrung und weiß, wie belastend sie ist. Wenn sie sich aber so entschieden haben und was immer sie dabei auch empfinden: Sie haben die Ansprüche ihrer Familie abgewählt zugunsten der Ansprüche ihres Unternehmens.
Vielleicht bedroht diese Klarheit ihr Rollenverständnis vom guten Vater oder der guten Mutter. Schließlich wollen sie als fürsorglicher Elternteil gelten. Da ist es naheliegend, auf einen bekannten Trick zurückzugreifen: Die anderen werden Verständnis haben, wenn sie erzählen, dass sie doch letztlich keine Wahl hatten. Doch! Die hatten sie. Sie wollen aber für ihre Entscheidung nicht geradestehen. Wie Kinder, die glauben, nicht gesehen zu werden, wenn sie die Augen schließen.
Auf einer Zugfahrt kam ich mit einem städtischen Beamten ins Gespräch, der sich über die weitaus besseren Verdienstmöglichkeiten in der Wirtschaft beklagte. Ich wandte ein: »Als Sie Beamter wurden, wussten Sie doch, dass Sie mit dieser Wahl das Gelübde auf lebenslange Armut abgegeben haben. Außerdem können Sie doch jederzeit Ihren Beamtenstatus aufgeben und sich einen Job in der Wirtschaft suchen.« »Aber die Arbeitsplatzsicherheit, der Leistungsdruck, die Pension …« »Aha!«
»Darf ich es in meinem Leben so haben, wie ich es gerne hätte?« Sie haben es so! Auch wenn es sich noch so hart anhört: Sie sind nicht gezwungen worden, Ihr Leben in der gerade praktizierten Form zu leben. Dem liegen Entscheidungen und damit abgelehnte Alternativen zugrunde. Mögen diese auch noch so abwegig sein. Immer dann, wenn Sie anfangen, über |28| etwas zu lamentieren – dann haben Sie vergessen, dass Sie es sich ausgesucht haben.
Preisvergleich
»Ich möchte dich gerne heiraten«, sagt die Frau zu ihrem Geliebten. »Glaube mir, ich wünsche mir nichts sehnlicher auf dieser Welt. Aber ich kann mich nicht von meinem Mann trennen. Er würde es nicht überstehen. Er braucht mich. Ohne mich kann er nicht leben.« Worte, die in so manchem Liebesdrama fallen und die Sie so ähnlich vielleicht auch schon einmal gehört haben. Jedoch:
Kann
sich diese Frau nicht trennen? Ist es nicht die Loyalität gegenüber ihrem Mann und ihre Sorge um sein Wohlbefinden, die sie bei ihm bleiben lassen? Hat sie sich nicht
für
bestimmte Werte und
gegen
andere entschieden?
Alle Menschen wollen ein gutes, ein gelungenes Leben führen. Aber nur wenige sind bereit, den Preis zu zahlen, der in der Regel dafür fällig ist. Sie sind nicht bereit, das Opfer zu bringen. Sich anzustrengen. Etwas anderes hintanzustellen. Eventuell sogar
Weitere Kostenlose Bücher