Die Entstehung der Arten Illustriert - Ueber die Entstehung der Arten durch natuerliche Zuchtwahl oder die Erhaltung der beguenstigten Rassen im Kampfe ums Dasein
Gesetzen gebildet worden sind: Einheit des Typus und Bedingungen der Existenz. Unter Einheit des Typus begreift man die Übereinstimmung im Grundplane des Baues, wie wir ihn bei den Gliedern einer und derselben Klasse finden und welcher ganz unabhängig von ihrer Lebensweise ist. Nach meiner Theorie erklärt sich die Einheit des Typus aus der Einheit der Abstammung. Der Ausdruck Existenzbedingungen, so oft von dem berühmten Cuvier betont, ist in meinem Prinzipe der natürlichen Zuchtwahl vollständig mit inbegriffen. Denn die natürliche Zuchtwahl wirkt nur dadurch, dass sie die veränderlichen Teile eines jeden Wesens seinen organischen und unorganischen Lebensbedingungen entweder jetzt anpasst oder in längst vergangenen Zeiten angepasst hat. Diese Anpassungen können in vielen Fällen durch den vermehrten Gebrauch oder Nichtgebrauch unterstützt, durch direkte Einwirkung äußerer Lebensbedingungen leicht affiziert werden und sind in allen Fällen den verschiedenen Wachstums- und Abänderungsgesetzen unterworfen. Daher ist denn auch das Gesetz der Existenzbedingungen in der Tat das höhere, indem es vermöge der Erblichkeit früherer Abänderungen und Anpassungen das der Einheit des Typus mit in sich begreift.
Siebentes Kapitel – Verschiedene Einwände gegen die Theorie der natürlichen Zuchtwahl
Langlebigkeit. — Modifikationen nicht notwendig gleichzeitig. — Modifikationen scheinen ohne direkten Nutzen. — Progressive Entwicklung. — Charaktere von geringer funktioneller Bedeutung die konstantesten. — Natürliche Zuchtwahl vermeintlich ungenügend, die Anfangsstufen nützlicher Gebilde zu erklären. — Ursachen, welche das Erlangen nützlicher Bildungen durch natürliche Zuchtwahl stören. — Abstufungen des Baues bei veränderten Funktionen. — Sehr verschiedene Organe bei Gliedern der nämlichen Klasse aus einer und derselben Quelle entwickelt. — Gründe, nicht an große und plötzliche Modifikationen zu glauben.
Ich will dies Kapitel der Betrachtung mehrerer verschiedenartigen Einwendungen widmen, welche gegen meine Anschauungsweise erhoben worden sind, da einige der früheren Erörterungen hierdurch vielleicht klarer werden; es wäre aber nutzlos, alle Einwände zu erörtern, da viele von Schriftstellern ausgegangen sind, welche sich nicht die Mühe genommen haben, den Gegenstand zu verstehen. So hat ein distinguirter deutscher Naturforscher behauptet, die schwächste Seite meiner Theorie sei die, dass ich alle organischen Wesen für unvollkommen halte. Ich habe aber wirklich nur gesagt, dass sie alle im Verhältnis zu den Bedingungen, unter welchen sie leben, nicht so vollkommen sind, als sie sein könnten; und dass dies der Fall ist, beweisen die vielen eingeborenen Formen, welche ihre Stellen im Naturhaushalte in vielen Teilen der Erde naturalisierten Eindringlingen abgetreten haben. Auch können organische Wesen, selbst wenn sie zu irgend einer Zeit ihren Lebensbedingungen vollkommen angepasst waren, nicht so bleiben, wenn ihre Bedingungen sich ändern, sie müssen sich dann selbst gleichfalls ändern. Niemand wird aber bestreiten, dass die physikalischen Verhältnise eines jeden Landes ebenso wie die Zahlen und Arten seiner Bewohner vielem Wechsel unterlegen sind.
Ein Kritiker hat vor Kurzem mit einer gewissen Schaustellung matematischer Genauigkeit behauptet, dass Langlebigkeit ein großer Vorteil für alle Spezies sei, so dass der, welcher an natürliche Zuchtwahl glaubt, »seinen genealogischen Stammbaum in einer solchen Weise arrangiren muss«, dass alle Abkömmlinge längeres Leben haben als ihre Vorfahren! Kann es unser Kritiker nicht begreifen, dass eine zweijährige Pflanze oder eines der niederen Tiere sich in ein kaltes Klima hinein erstrecken und dort jeden Winter umkommen kann: und dass sie trotzdem in Folge der durch die natürliche Zuchtwahl erlangten Vorteile von Jahr zu Jahr mittelst ihrer Samen oder Eier überleben können? E. Ray Lankester hat kürzlich diesen Gegenstand erörtert und gelangt, so weit dessen außerordentliche Complexität ihm ein Urteil zu bilden gestattet, zu dem Schlusse, dass Langlebigkeit im Allgemeinen zu dem Standpunkt jeder Spezies auf der Stufenleiter der Organisation ebenso wie zu der Größe des Aufwandes bei der Fortpflanzung und bei der allgemeinen Lebenstätigkeit in Beziehung stehe. Wahrscheißlich sind diese Verhältnise in großem Maße durch die natürliche Zuchtwahl bestimmt worden.
Man hat gefolgert, dass, da keine
Weitere Kostenlose Bücher