Die Entstehung der Arten Illustriert - Ueber die Entstehung der Arten durch natuerliche Zuchtwahl oder die Erhaltung der beguenstigten Rassen im Kampfe ums Dasein
wir nicht annehmen, dass die Wirkungen der natürlichen Zuchtwahl stets durch freie Kreuzung beseitigt werden; denn ich kann eine lange Liste von Tatsachen beibringen, woraus sich ergibt, dass innerhalb eines und desselben Gebietes Varietäten der nämlichen Tierart lange unterschieden bleiben können, weil sie verschiedene Stationen innehaben, in etwas verschiedener Jahreszeit sich fortpflanzen, oder nur Individuen von einerlei Varietät sich einander zu paaren vorziehen.
Kreuzung spielt in der Natur insofern eine große Rolle, als sie die Individuen einer Art oder einer Varietät rein und einförmig in ihrem Charakter erhält. Sie wird dies offenbar weit wirksamer zu tun vermögen bei solchen Tieren, die sich für jede Fortpflanzung paaren; aber wie ich schon vorher angegeben habe, haben wir zu vermuten Ursache, dass bei allen Pflanzen und bei allen Tieren von Zeit zu Zeit Kreuzungen erfolgen; – und wenn dies auch nur nach langen Zwischenräumen wieder einmal erfolgt, so werden die hierbei erzielten Abkömmlinge die durch lange Selbstbefruchtung erzielte Nachkommenschaft an Stärke und Fruchtbarkeit so sehr übertreffen, dass sie mehr Aussicht haben dieselben zu überleben und sich fortzupflanzen; und so wird auf die Länge der Einfluss der wenn auch nur seltenen Kreuzungen doch groß sein. In Bezug auf organische Wesen, welche äußerst niedrig auf der Stufenleiter stehen, welche sich nicht geschlechtlich fortpflanzen und nicht conjugiren, welche sich also unmöglich kreuzen können, ist zu bemerken, dass bei ihnen eine Gleichförmigkeit des Charakters, so lange ihre äußeren Lebensbedingungen die nämlichen bleiben, nur in Folge der Vererbung und in Folge der natürlichen Zuchtwahl, welche jede zufällige Abweichung von dem eigenen Typus immer wieder zerstört, erhalten werden kann. Wenn aber die Lebensbedingungen sich ändern und jene Wesen Abänderungen erleiden, so kann ihre hiernach abgeänderte Nachkommenschaft nur dadurch Einförmigkeit des Charakters behaupten, dass natürliche Zuchtwahl ähnliche vorteilhafte Abänderungen erhält.
Auch die Isolirung ist ein wichtiges Element bei der durch natürliche Zuchtwahl bewirkten Veränderung der Arten. In einem umgrenzten oder isolierten Gebiete werden, wenn es nicht sehr groß ist, die organischen wie die unorganischen Lebensbedingungen gewöhnlich beinahe einförmig sein; so dass die natürliche Zuchtwahl streben wird, alle veränderlichen Individuen einer und derselben Art in gleicher Weise zu modifizieren. Auch Kreuzungen mit solchen Individuen derselben Art, welche die den Bezirk umgrenzenden Gegenden bewohnen, werden hier verhindert. Moritz Wagner hat vor kurzem einen interessanten Aufsatz über diesen Gegenstand veröffentlicht und gezeigt, dass der in Bezug auf das Verhindern von Kreuzungen zwischen neu gebildeten Varietäten durch Isolirung geleistete Dienst wahrscheinlich selbst noch größer ist, als ich angenommen hatte. Aber aus bereits angeführten Gründen kann ich darin mit diesem Naturforscher durchaus nicht übereinstimmen, dass Wanderungen und Isolirung zur Bildung neuer Arten notwendige Momente seien. Die Bedeutung der Isolirung ist aber ferner insofern groß, als sie nach irgend einem physikalischen Wechsel im Klima, in der Höhe des Landes u. s. w. die Einwanderung besser passender Organismen hindert; es bleiben daher die neuen Stellen im Naturhaushalte der Gegend offen für die Bewerbung und Anpassung der alten Bewohner. Isolirung wird endlich Zeit geben, dass eine neue Varietät langsam verbessert wird; und dies kann mitunter von großer Bedeutung sein. Wenn dagegen ein isoliertes Gebiet sehr klein ist, entweder der dasselbe umgebenden Schranken halber oder in Folge seiner ganz eigentümlichen physikalischen Verhältnise, so wird notwendig auch die Gesamtzahl seiner Bewohner sehr klein sein; und geringe Individuenzahl verzögert sehr die Bildung neuer Arten durch natürliche Zuchtwahl, weil sie die Wahrscheinlichkeit des Auftretens günstiger individueller Verschiedenheiten vermindert.
Der blosse Verlauf der Zeit an und für sich thut nichts für und nichts gegen die natürliche Zuchtwahl. Ich bemerke dies ausdrücklich, weil man irrig behauptet hat, dass ich dem Zeitelement einen allmächtigen Anteil bei der Modifikation der Arten zugestehe, als ob alle Lebensformen mit der Zeit notwendig durch die Wirksamkeit eines in ihnen liegenden Gesetzes eine allmähliche Veränderung erfahren müssten. Zeit ist aber nur insofern von
Weitere Kostenlose Bücher