Die Erben des Terrors (German Edition)
explodieren würde.
Aber, so überlegte Chruschtschow, in den USA gibt es keine weiteren Gro ßstädte mehr, keine weiteren großen Häfen. Nicht am Atlantik, aber, gut, Chicago wäre eine Überlegung wert, aber der Weg für die Kapitäne der Boote dorthin, durch die Great Lakes, durch hunderte von Kanälen und Schleusen, alle besetzt mit amerikanischer Küstenwache – nein, das Risiko, entdeckt werden, wäre zu groß. Pazifik, dachte er, und dann kam es ihm wie eine Eingebung: Pearl Harbor. Was sollte es besseres geben als die Amerikaner da zu treffen, wo sie bereits vor zwanzig Jahren von den Japanern bitterst getroffen wurden?
Und dann, das war das Tüpfelchen auf dem i, hatte Eisenhower erst vor drei Ja hren Hawaii zum fünfzigsten Bundesstaat der USA gemacht. Insofern werden die Amerikaner wahrscheinlich selber nicht daran denken, scherzte er, stillschweigend zu sich selbst. Was aber, überlegte er weiter, wenn sein Militär und sein Geheimdienst tatsächlich von ausländischen Agenten unterwandert worden war, wie einige wenige in diesem Raum dies vermuteten? Nein, Chruschtschow brauchte einen Backup-Plan. Nikita Nummer dreizehn sollte dieser Backup-Plan werden.
Natürlich brauchte man auch für dieses Boot einen Skipper, der in seinen wenigen, jungen Dienstjahren in der russischen Marine unter Beweis gestellt hatte, dass er ein wahrer Patriot ist und bereit ist, sein Leben für sein Vaterland zu opfern. Er konnte nicht älter sein, schließlich wollte man, die Boote ab dem Zeitpunkt des Verlassens eines russischen Hafens nicht mehr kontaktieren, sie völlig auf sich alleine gestellt operieren lassen. Und zwar zumindest so lange, wie auch die Atombomben einsatzbereit wären, etwa fünfzig Jahre, so hatten es seine Nukleartechniker erklärt.
Er dachte kurz an den jungen Mann, der ihm am Tag zuvor das Leben gerettet hatte, und konnte sich zunächst schnell mit dem Gedanken anfreunden. Dann aber fiel ihm auf, dass der Mann, Rybak, sicherlich einige Bekanntheit erlangen würde – nicht die ideale Voraussetzung für eine Geheimoperation. Überhaupt wäre es riskant, den Mann auf eine der Nikitas zu beordern, aber er hatte sich es schließlich verdient. Nein, beschloss Chruschtschow, für die Nikita dreizehn bräuchte man einen absoluten Niemand. Und mit einer Armee mit über fünfhunderttausend einsatzfähigen Soldaten, mehr als hunderttausend qualifizierten jungen Männern in der Marine, würde sich sicher jemand finden lassen.
01 . Oktober 2013
19° 14’ 30.02” Nord, 148° 01’52.19” West
Irgendwo im Pazifik
Luschkow dachte, sich ins Cockpit setzend und auf den Sonnenaufgang wartend, zurück an Russland, vor allem an den milden, kühlen, sonnigen Sonntag im Herbst 1963, aller er in der Werft benannt nach 61 Kommunarden den Fußboden schrubbte und plötzlich zwölf Soldaten ankamen, dicht gefolgt vom Vorsitzenden Chruschtschow und einem Mann, der angezogen war, als wäre er Professor. Wie er gehört hatte, was für Boote in Nikolajew wirklich gebaut wurden, und an sein kurzes Gespräch mit dem Vorsitzenden.
Und wie ihn eine dreiviertel Stunde später vier Männer aufsuchten, ihm eine Kapuze über den Kopf zogen und nicht wieder abnahmen, bis sie ihn in einen sch äbigen, fensterlosen Raum gebracht hatten. Wie er die Nacht über auf seine sicher bevorstehende Hinrichtung gewartet und gebetet hatte. Wie nach einer schlaflosen Nacht noch vor Sonnenaufgang die Türe geöffnet wurde.
Sein Erstaunen, nicht wieder Männer in billigen Trenchcoats, sondern noc hmals den Vorsitzenden zu sehen. Wie er ihm die Hand reichte und meinte, „Junger Mann, auf sie kommt Großes zu!“. Und an den Sonnenaufgang bei dem Spaziergang in der morgendlich feuchten Seeluft von Nikolajew, bei der ihm Chruschtschow tatsächlich angeboten hatte, auch eines der Boote zu bekommen. Ein besonderes Boot, das dreizehnte. Das für den Fall des totalen Kriegs, das, welches nur zum Einsatz kommt, wenn alle anderen zwölf Boote ihre Befehle erhalten haben. Luschkow war nie so stolz gewesen wie an diesem Morgen.
Vergleichbaren Stolz hatte er erst wieder empfunden bei der Geburt seines ersten Sohnes, Raúl, seines ersten Enkelsohnes, Néstor, und dessen erster Tochter, der erst zwölf Monate alten Anita. Während er sich das zweite Glas einschenkte, dachte er an Diana, seine Lebensgefährtin während der letzten vierzig Jahre, eine rassige, auch mit über Sechzig noch immer gut aussehende Ecuadorianerin.
Was hatte sie sich beschwert,
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