Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Erdfresserin

Die Erdfresserin

Titel: Die Erdfresserin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julya Rabinowich
Vom Netzwerk:
Blick fiel auf, ihre schroffen Bewegungen. Man ist ihr gefolgt, hat sie im Wald gejagt wie einen Hasen, wie ein zitterndes Tier, das sich im Dickicht duckt, gefunden, hochgezerrt, in den Wagen gesetzt, der nach Benzin und billigem Fusel roch, und sie wieder zurückgebracht, nicht ohne sie um ihr Erspartes zu bringen.
    Ins sichere Drittland. Dort musste sie artig sein, dafür ließ man sie gehen.
    Sei ruhig, habe ich ihr eingebläut. Sei immer langsam, bis es keinen Ausweg gibt als den, schnell zu sein. Sei still. Lächle, aber lächle nicht zu viel. Achte auf deinen Gang. Zahle niemals Geld. Naturalien kann dir keiner nehmen. Das ist ein Tischleindeckdich, das dir immer zur Verfügung steht. Lächle und gewähre, dann kommst du weit.
    Nastja hat mich angesehen mit ihrem gehetzten Tierblick und genickt. Färb dir die Haare, hab ich ihr gesagt. Nimm bequeme Stiefel, die einen Absatz haben, mit dem es sich zu treten lohnt. Weine nie. Das macht nur Falten und du musst dich erneut bemalen.
    Sie hat wieder genickt und zu weinen begonnen.
    In Wien haben wir uns wie geplant wiedergetroffen. Solange es ging, uns ein Eckchen Heimat eingerichtet, mit einem kleinen Tisch und gesticktem Tischtuch und einer Thermoskanne voll heißem, süßem Tee. Sie beneidete mich um Slavko. Slavko bedeutete zumindest dreimal in der Woche ein Dach über dem Kopf und ruhigere Arbeit, aber Slavko brauchte keine zwei Frauen unseres Alters. Er brauchte keine Mangelware, niemanden, der schwächer war als ich. Nastja hat noch ihren Traum, den Traum vom Heiraten und einem kleinen Ehemann in einer kleinen Wohnung, mit kleinem Gehalt und kleinem Glück, und sie, die kleine Nastja, für immer zu Hause, nie wieder auf der Straße. Ich habe keinen Platz für Schwächen. Und ich dulde auch keine in meiner Nähe, wenn sie mich ablenken.
    Zu Hause, als wir noch gemeinsam studierten, war sie immer die, die im Hintergrund blieb und wartete, bis ich ihr Vorsprechtermine und Projektbeschreibungen gebracht habe. Unsere Wege auf der Universität trennten sich bald, als sie Schauspielerei und ich Regie als Hauptfach belegte. In den gemeinsamen Vorlesungen saßen wir noch nebeneinander: Literatur, Theorie und die Deutsch- und Englischkurse, in denen sie uns Unsprechbares beibrachten. Hinter dem Rücken der durchaus engagierten Professoren, die noch nie einen Deutschen, noch nie einen Engländer sprechen gehört hatten, wurden sie Feindessprachen genannt, die keiner von uns wirklich einzusetzen wusste. Wir saßen nebeneinander, und ich spürte, wie sie darauf lauerte, dass ich fertig studiert haben und eine erfolgreiche Regisseurin sein würde, in deren Aufführungen sie die Hauptrollen genauso bekäme wie jetzt die Terminzettelchen. Diese Vorstellung machte mich noch stärker. Ihre Hoffnung beflügelte mich. Ich brauchte dieses leise ergebene Warten an meiner Seite, um meine Schritte umso entschlossener zu setzen. Sie wog all den Zweifel auf, den meine Mutter wie Gift in meine Adern träufelte.
    Alles hatte sie darangesetzt, um mich von der Übersiedlung in die Stadt, in der ich beschlossen hatte zu inskribieren, wieder abzubringen.
    Eine Großstadt, zu gefährlich für ein junges Mädchen. Und ein Studium? Wozu? Ich würde doch sowieso heiraten und die Schwelle waschen. Meine Schwester runzelte die Stirn, genauso wie sie. Eine ergebene Krankenschwester, die den Eingriffen des Chirurgen unbedankt assistiert. Vermutlich hat sie als Kind schon geübt, Mutters Urteil bis ins Ununterscheidbare zu kopieren. Sie gehörte Mutter, ich war das Vaterkind. Wie sie es mir immer und immer wieder erzählt haben. Meistens in Verbindung mit etwas, das ungehörig oder verboten war, und das natürlich mir zugeordnet worden ist. Meistens zu Recht.
    Ich musste diese Information als gegeben zur Kenntnis nehmen, wusste ich doch so gut wie nichts mehr über Vater, eine vage Erinnerung an eine warme, große Brust, an der mein Hinterkopf lehnte, eine Pfeife mit schwarzem Griff und gelblichem Mundstück. Elfenbein. Seine Lieblingspfeife hätte er nie zurückgelassen, wenn er nicht beabsichtigt hätte, wiederzukommen.
    *
    »Was glauben die Leute«, sagt Nastja und lacht ungläubig. »Was glauben die Leute.«
    Ich beschließe, ihr nicht zu antworten, es hat keinen Sinn, ich könnte ihr nichts erklären, nichts begreiflich machen von dem, was mir wichtig ist, sie hat noch nie kapiert, worum es ging, und ich habe oft davon profitiert.
    »Diana?«
    Der Geruch im Raum ist ätzend, wir haben das

Weitere Kostenlose Bücher