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Die Erfindung des Abschieds /

Die Erfindung des Abschieds /

Titel: Die Erfindung des Abschieds / Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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loszulassen. Keuchend und schnaubend stemmte er sich breitbeinig gegen den Sog, der von dem Jungen ausging.
    Endlich bekam er ihn von vorne zu fassen, er schlang die Arme um ihn wie eine Krake und zog ihn zentimeterweise über das Absperrseil, während Raphael weiter um sich schlug, zuckte und zappelte und nach ihm trat wie ein tobendes Tier.
    Erschöpft ließ sich Süden auf den Rücken fallen, und Raphael plumpste auf ihn drauf.
    Und kaum lagen sie da, sprang Raphael wieder auf und wollte davonstürzen. Süden erwischte ihn an der Jeansjacke. Geschickt drehte sich Raphael um die eigene Achse, schlüpfte aus der Jacke und machte einen Schritt nach vorn.
    Da trat Süden einfach zu. Wie ein unfairer Fußballspieler grätschte er dem Jungen von hinten in die Beine und brachte ihn zu Fall. Raphael schlug auf dem steinigen Untergrund auf, und bevor er etwas anderes tun konnte als weinen, zog ihn Süden zu sich her und schleifte ihn den Hang hinauf zum Klippenweg. Dort pflanzte er ihn neben sich auf den Boden, legte den Arm um ihn und drückte ihn so fest an sich, als wolle er ihn zerquetschen.
    »Aua!«, jammerte Raphael, und Süden lockerte den Griff ein wenig.
    Stumm und mit aufgerissenem Mund saß Raphael da und weinte und bekam einen Schluckauf und schluchzte und japste.
    In regelmäßigen Abständen wischte ihm Süden mit der flachen Hand übers Gesicht.
    Und dann starrten sie beide zum finsteren lautlosen Horizont. Dorthin, wo England lag – oder Atlantis.
     
    »Besser?«
    Süden hatte seine Lederjacke ausgezogen und sie unter Raphael geschoben, damit er nicht länger auf dem kalten Gras sitzen musste.
    Raphael schüttelte den Kopf. Sein Tränenfluss war versiegt, er hockte mit angezogenen Beinen da und stützte sein Kinn auf die Knie.
    »Wozu ist der Anhänger?«, fragte er grimmig, ohne Süden anzusehen.
    »Das ist ein Amulett mit einem Adler. Der hilft mir, Dinge zu erkennen.«
    »Was erkennen?«
    »Dich zum Beispiel. Was du fühlst, was du vorhast.« Er trug eine schwarze Hose und ein weißes Hemd, dessen obere Knöpfe wie immer offen waren, und wenn er sich bewegte, schaukelte und funkelte das Amulett an der Lederschnur.
    »Ich will aber nicht, dass du das weißt«, sagte Raphael.
    Süden drückte ihn an sich und schwieg.
    »Und wo hast du das her, das Am … das Ding?«
    »Das Amulett hat mir ein Indianer geschenkt.«
    »Ein echter Indianer?« Wie aus Versehen wandte ihm Raphael den Kopf zu.
    »Ja, ich war mit meinen Eltern in einem amerikanischen Reservat, das ist ein Platz, wo …«
    »Ich weiß, was ein Indianerreservat ist«, sagte Raphael und zog die Stirn in Falten.
    »Ich war mit meinen Eltern dort, als ich ungefähr so alt war wie du. Wir haben einen Medizinmann getroffen, und der hat mir zum Abschied das Amulett geschenkt. Seitdem trage ich es immer bei mir, gefällt es dir?«
    »Warst du krank, weil du bei einem Medizinmann warst?«
    »Meine Mutter war krank, und mein Vater dachte, vielleicht könnte ihr der weise Mann helfen. Aber sie ist nicht gesund geworden, sie hat noch ein paar Jahre gelebt, dann ist sie gestorben.«
    »Vermisst du sie?«
    »Ja.«
    »Ich vermiss meine Mutter nicht«, sagte Raphael und zog den Rotz hoch. »Und meinen Vater auch nicht!«
    »Aber sie vermissen dich.«
    »Du lügst!«
    »Nein, ich lüg nicht. Deine Mutter vermisst dich sehr, das weiß ich, ich hab mit ihr gesprochen, sie ist krank vor Angst um dich.«
    »Aber mein Vater vermisst mich nicht.«
    Wellen schlugen gegen den Schutzwall in der Bucht, und man hörte die Gischt aufspritzen.
    »Wieso hast du überhaupt gewusst, dass ich hier bin?«, fragte Raphael und verspürte ein Kribbeln in den Beinen, das höher kroch.
    »Das kann ich dir nicht erklären«, sagte Süden.
    »Dann erklär mir, wieso ich nicht bei meinem Opa sein darf? Wieso hast du das getan? Wieso hast du mich festgehalten? Du hast mir überhaupt nichts zu sagen, ich kann machen, was ich will! Mein Opa ist jetzt bestimmt böse auf mich. Und auf dich auch!«
    »Erinnerst du dich, wie ich dir gesagt hab, dass ich dir erklären werde, wieso du dir keine Sorgen um deinen Großvater machen musst?«
    Raphael schüttelte den Kopf. Er presste sein Kinn auf die Knie und krallte die Finger in seine Jeans. Das Kribbeln hatte seine Brust erreicht.
    »Du bist alt genug, Raphael«, sagte Süden und sah ihn an.
    »Siehst du den Himmel?«
    »Nein.«
    »Du musst nach oben schauen.«
    »Nein.«
    »Dein Großvater ist dort oben.«
    »Du lügst.«
    »Er sieht zu uns

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