Die erregte Republik
sondern tiefer schauen und beherzt Lösungen angehen wollen.
|45| 3. Von der Medien- zur Stimmungsdemokratie
Die Macht der Medien
Wer die gestörten Beziehungen zwischen Politik und Bürgern in unserem Land in den Blick nehmen will, darf über die Dritten im Bunde nicht schweigen: die Medien. Sie sind es, die in einer Massendemokratie die Verständigung zwischen Politikern und ihren Wählern organisieren und das gesellschaftliche Streitgespräch moderieren sollen. Und sie sind es, die faktisch das Maß der öffentlichen Erregung über die Politik bestimmen und den Takt der Empörungswellen vorgeben. Aus dem öffentlichen Diskurs sind sie nicht mehr wegzudenken, immer prominenter wird ihre Rolle und immer mehr tragen sie Verantwortung für das Bild von der Politik, das die Menschen in ihren Köpfen haben. »Was wir über unsere Gesellschaft, ja über die Welt, in der wir leben, wissen«, so ein berühmtes Diktum des 1998 verstorbenen Soziologen Niklas Luhmann, »wissen wir durch die Massenmedien.« 27 Je komplexer und vernetzter unsere Welt wird, desto mehr gewinnt dieses Wort an Wahrheit. Während die meisten Menschen sich über Alltagsvorgänge und das Geschehen in ihrem Nahbereich noch ganz gut unabhängig von den Medien ein Bild machen können, trifft Luhmanns Satz auf die Vermittlung politischen Wissens ganz besonders zu. Denn spätestens seit dem Beginn des Fernsehzeitalters in den 1960er-Jahren ist Politik medialisiert, findet die Kommunikation politischer Fakten und Deutungen fast ausschließlich über die Medien statt.
|46| Dieser zweistufige Fluss der politischen Kommunikation von den Politikern als den eigentlichen Urhebern politischer Inhalte zu den Medien und erst von dort zu den Bürgerinnen und Bürgern kann nicht ohne Rückwirkungen auf das Bild bleiben, das sich die Menschen von der Politik machen – aber auch auf die Politik selbst, denn auch diese verändert sich im Medienzeitalter. Mittlerweile orientiert sich nicht nur die Politik
darstellung
, also die Weise, wie Politikerinnen und Politiker ihre politischen Vorhaben erklären und dafür um Unterstützung werben, sondern auch die
Politik herstellung,
also die Formulierung politischer Programme und Projekte, an der Art, wie die Medien diese aufgreifen, präsentieren und kommentieren. Politik im 21. Jahrhundert wird deswegen nicht mehr allein in der politischen Arena gemacht, sondern zwischen Politik und Medien ausgehandelt, bevor sie dem Volk präsentiert wird. Die Stimme der Medien wird so immer gewichtiger. Die Politik richtet antizipierend ihre Projekte und deren Präsentation an den Medien aus und korrigiert den Kurs, wenn politische Vorhaben bei den Journalistinnen und Journalisten auf eine übermächtig wirkende Welle der Kritik treffen. »Damit kommst Du in der Presse nicht durch« oder »Wenn wir das durchziehen, gibt es einen Aufschrei in den Medien« sind typische Sätze, die Pressesprecher ihren Chefs warnend mit auf den Weg geben.
Die Art und Weise, in der Medien Politik interpretieren und darstellen, aber auch die Frage, welche Strategien Politiker im Umgang mit den Medien einschlagen, gewinnen so für die Konstruktion der demokratischen Öffentlichkeit eine herausgehobene Bedeutung. Denn klar ist: nur »Randfiguren der holzverarbeitenden Industrie«, wie Willy Brandt jenen Berufsstand einmal nannte, dem er lange selbst angehört hatte, sind diejenigen nicht, die tagtäglich Politiker begleiten, ihre öffentlichen |47| Auftritte analysieren, so manche sensible Information über Handy zugesteckt bekommen und über deren Veröffentlichung entscheiden. Journalisten – oder zumindest solche, die wie die Berliner Büroleiter und politischen Korrespondenten der großen Zeitungen und Sendeanstalten nah an den Schaltstellen der Politik einflussreiche Positionen bekleiden – sind heutzutage nicht nur wichtige Einflussgrößen bei der Modellierung des Bildes von Politik, sondern auch vielfach selbst politische Akteure, die Forderungen erheben, in Talkshows auftreten und für private oder politische Belange ihren Einfluss geltend machen. Ob prominente ehemalige Popjournalisten, die als Anwohner des Berliner Nobelstadtteils Eichkamp ein Tempolimit auf der AVUS fordern, oder Kommentatoren von großen Illustrierten, die bestimmte Politiker einfach »weg« haben wollen: Journalisten verfügen in der Mediengesellschaft über genügend Einfluss (und zudem das notwendige kommunikative Fachwissen), um ihre Anliegen lautstark zur Geltung zu
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