Die erregte Republik
des politischen Personals in Verkäufer und Entscheider: während die einen vor der Kamera Beschlüsse verkünden, bereiten die anderen im Hinterzimmer die nächsten Entscheidungen vor. Nur leider sind – nichts ist perfekt – die Verkäufer nicht immer darüber informiert, was die Entscheider zwischenzeitlich schon entschieden haben. So kommt es zu einer doppelten Agenda: Auf der Vorderbühne gibt es Brot und Spiele und im Hinterzimmer werden die Zukunftsfragen des Gemeinwesens entschieden.
Jahrmarkt der Eigenheiten
Die Aushandlungsprozesse zwischen Politik und Medien sind dabei von einer hohen Dynamik geprägt, ohne dass der einfache Bürger erkennen kann, wer sich gerade in welchem Kräftefeld befindet. Am Ende stellt sich das Equilibrum meist wieder her, denn permanente Abstoßung und Anziehung halten sich die Waage. Es gibt zwischen Politik und Medien Phasen intensiver |53| Kumpanei und solche der schwer gestörten Beziehungen. Unterm Strich aber gilt, dass Politik und Medien einander brauchen, da Politik ohne Medien keine Öffentlichkeit herstellen kann und die Medien ohne Politik nicht über das berichten könnten, was trotz allem um sich greifenden Egoismus noch immer Menschen bewegt: den Zustand unseres Gemeinwesens. Da die Brisanz von Themen überhaupt erst in dem Moment erkannt werden kann, in dem sie öffentlich diskutiert und auf diese Weise getestet und bewertet werden, bilden Politik und Medien eine Problemerzeugungsgemeinschaft, die ständig lösungsbedürftige Themen hervorbringt, zuspitzt und verdichtet, um sie häufig doch wieder zu verwerfen oder einfach unbearbeitet liegenzulassen. Das Erzeugen, mediale Aufbereiten und schließliche Abstoßen von immer neuen Themen und Anliegen ist das Grundmuster unseres öffentlichen Diskurses, der Sound einer unaufhörlich diskutierenden Republik. Doch woher die Anstöße zu Themen kommen und wer diese steuert, vermag außerhalb schmaler Insider-Zirkel niemand zu sagen. Viele Diskurse, die in Deutschland geführt werden, sind von ganz konkreten Interessen geleitet, doch da nicht transparent wird, wessen Interesse sie folgen, ist ihr Ausgangspunkt für das Publikum oft kaum nachvollziehbar. So hätte es Mitte der 1990er-Jahre keines Daniel Jonah Goldhagen bedurft, um zu erfahren, dass viele Deutsche willig und auch durchaus begeistert beim Holocaust mitgemacht haben, doch die Redaktion der
Zeit
wollte damals eine große Feuilletondebatte – und bekam sie auch, nachdem sie mit einer skandalisierenden Besprechung von Goldhagens Buch groß herausgekommen war. Da störte es nicht, dass Goldhagens zentrale Erkenntnisse weit hinter den aktuellen Forschungsstand zurückfielen und viel undifferenzierter waren als die Einsichten, die sich die Geschichtswissenschaft über Jahrzehnte mühsam erarbeitet hatte. |54| Es brauchte 2010 auch keinen Thilo Sarrazin, um festzustellen, dass mit der Integration in Deutschland nicht alles zum Besten steht. Der von der
Bild
-Zeitung im Jahr 2003 mit viel Tam-Tam ausgegrabene »Florida-Rolf« ist genauso wenig der Archetypus des deutschen Sozialschmarotzers wie der »Kanada-Rolf«, den Medien 2011 ausmachten, sondern repräsentiert eine verschwindend kleine Gruppe von im Ausland lebenden Sozialhilfeempfängern. Und dass der Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr nicht ganz so harmoniegeprägt ist, wie viel zu viele viel zu lange behauptet haben, hätte man auch schon einige Jahre früher feststellen können. Manche Debatten, wie die über »spätrömische Dekadenz« oder »deutsche Leitkultur«, werden von der Politik selbst initiiert, andere, etwa die unselige »Kopftuchmädchen-Debatte«, von den Medien. Doch auch der subtile Einfluss bezahlter Auftragskommunikatoren aus der Public-Relations- und Lobbying-Branche ist überall spürbar. Dass heutzutage pro Jahr viele Dutzend Fachforen zum Thema »Demografischer Wandel« stattfinden, ist vor allem der privaten Versicherungswirtschaft zu verdanken. Die versprach sich nämlich von einer breiten Diskussion über die Alterung der Deutschen Schützenhilfe für die Einführung einer kapitalgedeckten privaten Säule der Altersversorgung. Gleichzeitig bilden sich um andere Themen Schweigekartelle, weil diese entweder nicht der medialen Aufmerksamkeitslogik entsprechen oder als echte Arkanbereiche sorgsam aus der öffentlichen Diskussion herausgehalten werden. Über Armut etwa lässt sich kaum anschaulich berichten, weil diese schwer zu personalisieren ist. Sozialbetrug dagegen kann man an
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