Die erregte Republik
Kollegen und die Konkurrenz. Ich habe während meiner Kandidaturen zum Amt des Bundespräsidenten häufig Interviews gegeben, die mir in der Sache nicht besonders provokant erschienen. Aber ich konnte spüren, dass die jeweiligen Interviewer nicht an dem Kontext interessiert waren, den ich skizzieren wollte, sondern nur auf eine Aussage lauerten, die sie zur skandalträchtigen Schlagzeile machen konnten. Und die haben sie dann auch regelmäßig zu einer Agenturmeldung gemacht: »Schwan kritisiert Schröder« oder »Schwan greift Merkel scharf an«. Das Gespräch diente also nur dazu, eine Aussage aus mir herauszukitzeln, mit der man dann von anderen Zeitungen zitiert wird. Der informative Mehrwert solcher Aktionen scheint mir gering.
Deswegen finde ich es so wichtig, dass Medien über ihr eigenes Tun selbstkritisch Rechenschaft ablegen. Journalisten |10| müssen akzeptieren, dass sie, demokratietheoretisch gesehen, mit geliehener Macht und geborgtem Einfluss als Sachwalter der Gesellschaft agieren. Sie genießen eine Vielzahl von Privilegien, haben aber – anders als die Politik – keine demokratische Legitimation aus eigenem Recht. Dies zwingt sie nicht zu Meinungslosigkeit, im Gegenteil, verpflichtet sie aber, sehr genau zu reflektieren, wie sie über Ereignisse und Prozesse berichten und welche Wirkungen dies auslöst. Die breite Debatte um die Qualitätssicherung des eigenen Programms und um die Entwicklung einer journalistischen Berufsethik, welche die öffentlich-rechtlichen Medien und die journalistischen Berufsverbände seit einigen Jahren führen, ist hier ein wichtiger Beitrag vonseiten der Akteure.
Das allgemeine Desinteresse an der ordnungspolitischen Regulierung und der inhaltlichen Ausgestaltung der Medien scheint mir eines der größten Defizite der gegenwärtigen Diskussion zu sein. Merkwürdigerweise haben etwa die Auseinandersetzungen um die politische Macht und die kulturelle Wirkung des Fernsehens nach der Einführung des Privatfernsehens 1984 nicht an Intensität zugenommen, sondern sind – im Gegenteil – an den Rand der gesellschaftlichen Debatte gerückt. Dies verwundert umso mehr, als die Entwicklung in den letzten zwanzig Jahren eindeutig weiter in Richtung der vielbeschworenen »Mediengesellschaft« gegangen ist. Nur durch eine breite gesellschaftliche Debatte, in der die Öffentlichkeit ihre eigene Kritikfähigkeit schärft und so klar macht, dass sich Manipulation und Kampagnenjournalismus langfristig nicht auszahlen, kann dafür gesorgt werden, dass die Medien als Sachwalter der Gesellschaft ihre demokratische Verantwortung wahrnehmen. Nur so kann die Logik der gemeinwohlorientierten demokratischen Verantwortung der Logik der ökonomischen Marktrentabilität, die die meisten der genannten |11| Missstände auslöst oder bestärkt, entgegen wirken. Das aufgeklärte Publikum muss sich wehren. Damit sind wir alle aufgerufen, das unsere dazu beizutragen.
Dies ist der eine Teil der Analyse. Aber dieses Buch handelt nicht nur von den Defiziten der Medien, sondern auch von der Erosion der Glaubwürdigkeit unserer Demokratie. Der Autor warnt davor, den zurzeit modischen Weg zu gehen und von Instrumenten der direkten Demokratie, insbesondere von Volksentscheiden, eine Wiederbelebung demokratischen Engagements und der Attraktivität der Demokratie zu erwarten. Ich stimme ihm darin ausdrücklich zu. Wir müssen andere Wege finden, Bürgerengagement und demokratische Teilhabe zu ermutigen, und zwar so, dass diese der repräsentativen Demokratie nicht entgegenstehen, sondern sie ihrem ursprünglichen Sinn entsprechend gemeinwohlorientiert stärken. Die von Thymian Bussemer in Anlehnung an Jürgen Habermas geforderte deliberative demokratische Öffentlichkeit, für die auch die Medien wichtig sind, ist eine unverzichtbare, aber nicht zureichende Bedingung. Sie sollte einhergehen mit der Stärkung zivilgesellschaftlicher Teilhabe im vorparlamentarischen Raum.
Es ist ja nicht zu übersehen, dass die repräsentative Demokratie ihrem Ideal – die Interessengegensätze der pluralistischen Gesellschaft werden im Parlament ausgetragen und von den nur ihrem Gewissen verantwortlichen Abgeordneten zu gemeinwohltauglichen Entscheidungen verarbeitet – immer weniger entspricht: Abgeordnete kommen nicht auf wunderbare Weise als gewissensgebundene Einzelne ins Parlament, sondern werden in der Regel von Parteien aufgestellt, sind in dieser Hinsicht auch von Parteien und ihren inneren Machtverhältnissen
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