Die Erscheinung
Studio bewohnen, das seine Firma gemietet hatte. Es lag in den East Fifties, zwischen der Lexington und der Third - nicht groß, aber zumindest komfortabel.
»Woher kommen Sie?« Der Chauffeur kaute an einer Zigarre und spielte mit einer Limousine und zwei anderen Taxifahrern Fangen. Mit knapper Not wich er einem Laster aus, ehe er sich in den Freitagnachmittagsverkehr stürzte. Das alles war Charlie vertraut.
»Aus London«, antwortete er und sah Queens am Fenster vorbeiziehen. Es gab keinen schönen Weg in die Stadtmitte.
»Wie lange waren Sie da?« Freundschaftlich schwatzte der Mann weiter und fuhr Slalom - ein Sport, der ihm nahe der City, im Stau der Rushhour, allerdings weniger Spaß machte.
»Zehn Jahre«, erklärte Charlie mechanisch, und der Fahrer musterte ihn im Rückspiegel.
»Eine lange Zeit. Sind Sie auf Besuch hier?«
»Nein, ich kehre nach New York zurück.« Plötzlich fühlte sich Charlie todmüde. Für ihn war es halb zehn Uhr abends, und die triste Gegend, durch die sie fuhren, deprimierte ihn. Die Strecke von Heathrow nach London war nicht erfreulicher, aber sie gehörte wenigstens zu der Stadt, die er als seine Heimat betrachtete. Nach dem Architekturstudium auf der Yale University hatte er sieben Jahre lang in New York gelebt, doch er war in Boston aufgewachsen.
»So was gibt's nur einmal auf der Welt«, behauptete der Chauffeur grinsend und zeigte mit der Zigarre durch die Windschutzscheibe. Sie erreichten gerade die Brücke. Im Dämmerlicht wirkte die Skyline tatsächlich imposant, aber nicht einmal der Anblick des Empire State Buildings vermochte Charlie aufzuheitern. Während der restlichen Fahrt schwieg er.
An der Ecke Fiftyfourth und Third bezahlte er den Fahrer, stieg aus und nannte dem Pförtner seinen Namen. Da er erwartet wurde, hatte ein Büroangestellter die Schlüssel hinterlegt. Verwundert schaute er sich im einzigen Raum seines neuen Domizils um. Hier schien alles aus Plastik und Resopal zu bestehen. An einer langen weißen Theke voller Glitzersteinchen standen zwei Barhocker, mit weißem Kunstleder bezogen. Eine Schlafcouch und Plastiksessel schimmerten in trübem Grün. Sogar die Zimmerpflanzen waren aus Plastik und beleidigten seine Augen, sobald er das Licht anknipste. Entsetzt über seine geschmacklose Umgebung, hielt er den Atem an. So weit ist es mit mir gekommen, dachte er. Keine Frau, kein Zuhause. Das Studio glich einem billigen Hotelzimmer und erinnerte ihn viel zu deutlich an alles, was er im letzten Jahr verloren hatte.
Seufzend stellte er das Gepäck ab, zog den Mantel aus und ließ ihn auf den einzigen Tisch im Zimmer fallen. Diese Atmosphäre würde ihn fraglos veranlassen, möglichst schnell ein Apartment zu finden. Er nahm ein Bier aus dem Kühlschrank, setzte sich auf die Couch, dachte an das Claridge, sein Haus in Chelsea. Einen verrückten Augenblick lang wollte er Carole anrufen. »Du ahnst nicht, wie hässlich mein Quartier ist…« Warum wollte er ihr dauernd erzählen, was er komisch oder traurig oder schrecklich fand? Was jetzt zutraf, wusste er nicht genau. Wahrscheinlich erweckte das Studio alle drei Impressionen zugleich. Aber er griff nicht zum Telefon, saß einfach nur da, fühlte sich ausgelaugt und versuchte, die Leere ringsum zu übersehen. An den Wänden hingen Posters von Sonnenuntergängen und Pandabären. Er warf einen kurzen Blick ins Bad - etwa so groß wie ein Kleiderschrank. Doch war er zu müde, um sich auszuziehen und zu duschen. Und so sank er wieder auf die Couch und starrte ins Nichts. Nach einer Weile legte er sich hin, schloss die Augen, verzweifelt bemüht, an gar nichts mehr zu denken, zu vergessen, woher er gekommen war. Irgendwann klappte er die Couch auf. Um neun Uhr schlief er tief und fest.
Als er am nächsten Morgen erwachte, schien die Sonne ins Zimmer. Es war zehn - und nach der Londoner Zeit, die seine Uhr immer noch anzeigte, erst drei. Gähnend stand er auf. Das Zimmer mit dem ungemachten Bett in der Mitte glich einem Chaos, und er glaubte in einem Schuhkarton zu hausen. Im Kühlschrank fand er Sodawasser, Bier und Instantkaffee, nichts Essbares. Also duschte er und zog Jeans und einen Pullover an. Zu Mittag wagte er sich auf die Straße hinaus, in sonnige Eiseskälte, und aß ein Sandwich in einem Feinkostgeschäft an der Third Avenue. Danach schlenderte er nordwärts, spähte in Schaufenster und stellte fest, dass die Leute hier ganz anders aussahen als in London. New York ließ sich mit keiner anderen
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