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Die Erscheinung

Titel: Die Erscheinung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Danielle Steel
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sich wie ein Aufseher auf einem Spielplatz. Nun wusste er, warum die Angestellten einander so verbissen bekämpften - weil sie frustriert waren und ihre hausbackenen Projekte hassten - allem Anschein nach eine hoffnungslose Situation. Während das Erntedankfest heranrückte, wuchs Charlies Verbitterung. Er verabscheute seinen Job, und er war so beschäftigt gewesen, dass er keine Pläne für den Feiertag geschmiedet hatte. Am Vortag hatten ihn beide Seniorpartner eingeladen. Doch er fühlte sich so unbehaglich in ihrer Gesellschaft, dass er sie belogen und behauptet hatte, er würde Verwandte in Boston besuchen. Schließlich saß er in seinem Studio-Apartment, sah ein Footballmatch im TV, bestellte eine Pizza und verspeiste sie an der Resopaltheke. Das alles erschien ihm so grausig, dass er es in gewisser Weise komisch fand. Zur Feier des Erntedankfests hatte er zusammen mit Carole stets einen Truthahn gebraten und Freunde eingeladen. Diese Tradition hatte der englische Freundeskreis etwas sonderbar gefunden, und so waren Carole und Charlie dazu übergegangen, die Einladung einfach als Dinnerparty zu bezeichnen. Nun fragte er sich unwillkürlich, ob sie das Erntedankfest dieses Jahr mit Simon feierte. Daran wollte er nicht denken, und so verbrachte er das restliche Wochenende im Büro. Beim Studium verschiedener Fotos, Akten und Baupläne konstatierte er wieder einmal, wie sehr sich alle Projekte glichen. Vielleicht wurden sogar stets dieselben Blaupausen verwendet. Ihm war schleierhaft, was er dagegen unternehmen sollte.
    Als er am Montag wieder zur Arbeit ging, fiel ihm ein, dass er im Lauf des Wochenendes vergessen hatte, auf Wohnungssuche zu gehen. Beim Anblick seiner Mitarbeiter, die ihm wie üblich voller Unbehagen begegneten, überlegte er, ob das ein böses Omen sein mochte. Die Hälfte der Leute war nach wie vor misstrauisch, die anderen schienen ihn für einen Exzentriker zu halten. Und die Seniorpartner versuchten ihn entweder in Misskredit zu bringen oder zu maßregeln.
    Ein paar Tage später kam Ben Chow in Charlies Büro. »Nun, was denken Sie?« Der intelligente, begabte 30-jährige Architekt hatte in Harvard studiert, und Charlie schätzte nicht nur seine Arbeit, sondern auch sein offenherziges Wesen.
    »Soll ich ehrlich sein?« Charlie schaute ihm in die Augen und wusste, Ben würde ihn niemals verraten. Nach all den Ausweichmanövern im New Yorker Büro empfand er es als Wohltat, kein Blatt vor den Mund nehmen zu müssen. »Vorerst bin ich mir noch nicht sicher, was hier passiert. Die gleichförmigen Entwürfe verblüffen mich. Aus irgendwelchen Gründen wagt niemand, originelle Pläne vorzulegen oder auch nur daran zu denken. Alle Gehirne scheinen zusehends abzustumpfen, auf beängstigende Weise. Genauso schrecklich finde ich die ständigen Streitigkeiten. Ich weiß nie, was ich sagen soll. Jedenfalls ist das kein konstruktives, fröhliches Team.«
    Lachend lehnte sich Ben Chow im Sessel vor Charlies Schreibtisch zurück. »Jetzt haben Sie's erfasst, mein Freund. Wir recyceln einfach nur alte Pläne, die vermutlich aus Ihren ersten Jahren bei Whittaker & Jones stammen.« Das hatte Charlie bereits herausgefunden. Seit er vor zehn Jahren nach London übersiedelt war, hatte der Konzern keine neuen Ideen verwirklicht. Seltsam - in Europa hatte das niemand bemerkt.
    »Aber warum? Wovor fürchten sich die Seniorpartner?«
    »Wahrscheinlich vor dem Fortschritt, vor Veränderungen. Sie wollen auf Nummer sicher gehen. Vor fünfzehn Jahren haben sie mehrere Preise gewonnen. Und irgendwann, als niemand hinschaute, ging die Risikofreude verloren. Jetzt wird nur noch in Europa aufregende, kreative Arbeit geleistet.« Bei diesen Worten salutierte Ben, und beide Männer grinsten. Es tat ihnen gut, freimütig miteinander zu reden. Ben hasste seinen Job genauso wie Charlie seine Verantwortung für das Hauptbüro.
    »Warum nicht auch in New York?«
    »Weil unsere zwei Chefs mit aller Macht an ihrer Tradition festhalten.«
    Offensichtlich, dachte Charlie. Und meine Entwürfe kommen ihnen wie reiner Schwachsinn vor, der sich nur für den Fernen Osten eignet. »Warum bleiben Sie eigentlich hier?«, fragte er neugierig. »Der Job kann Ihnen doch keinen Spaß machen. Und Sie werden gewiss keine Ruhmeslorbeeren in dieser Firma ernten.«
    »Das weiß ich. Aber der Name Whittaker & Jones erregt nach wie vor Aufmerksamkeit. Was wir wissen, haben die meisten Leute bisher nicht herausgefunden. Wahrscheinlich wird's noch fünf

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