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Die erste Todsuende

Die erste Todsuende

Titel: Die erste Todsuende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lawrence Sanders
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zugesetzt.

    Es war die letzte Nacht. Er setzte seine Mütze auf, zog den Mantel an und schleppte sich noch einmal zum Teufelszahn. Es war kälter geworden, kein Zweifel, und die Luft roch nach Schnee. Die Wachen, die den Fuß des Pfeilers umkreisten, trugen Regencapes über ihren Schaffelljacken. Der Scharfschütze hatte sich eine Wolldecke umgelegt, und in der Dunkelheit sah man nur seine aufglühende Zigarette. Captain Delaney hielt sich ein wenig abseits von den wenigen Schaulustigen, die noch geblieben waren und immer noch nach oben starrten.
    Der schimmernde Pfeiler, der vor ihm in den nächtlichen Himmel ragte, sah gespenstisch aus in dem grellen Scheinwerferlicht. Delaney meinte das Heulen des Windes dort oben zu hören, ein leises Wimmern, nicht lauter, als wenn man ein Kind in der Ferne weinen hört. Trotz des warmen Mantels fröstelte ihn: ein Schauder der Verzweiflung, eine unbestimmte Furcht. In diesem Augenblick hätte er weinen können und hätte doch nicht zu sagen gewußt, warum.
    Vielleicht, dachte er, war es Verzweiflung über seine eigenen Sünden, denn plötzlich wußte er, daß er schwer gesündigt hatte und daß seine Sünde sein Stolz war. Eine größere Todsünde gab es nicht - mit dem Stolz verglichen waren alle anderen sechs kaum mehr als physische Ausschweifungen. Stolz hingegen war geistige Verderbtheit. Und schlimmer noch, Stolz kannte kein Maß und keine Grenzen, Stolz konnte einen Menschen völlig verzehren.
    Sein Stolz, das wußte er, war nicht nur Selbstachtung, nicht nur Selbstgefälligkeit. Er kannte seine Fehler besser als irgend jemand sonst, ausgenommen vielleicht seine Frau. Sein Stolz ging weit über Selbstzufriedenheit hinaus: sein Stolz war Hochmut, war das Gefühl moralischer Überlegenheit, mit dem er Ereignissen, Menschen und, ja, sogar Gott begegnete.

    Doch jetzt war sein Stolz von Zweifeln unterhöhlt. Wie gewöhnlich hatte er, ein Polizeibeamter, ein moralisches Urteil gefällt -war das unverzeihlich? Und dann hatte er Daniel G. Blank in einen einsamen Tod auf einem kalten Felsen getrieben. Aber was hätte er tun sollen?
    Er hätte, wie er sich traurig eingestand, auch andere Wege gehen können, wäre nur ein wenig menschliche Milde in ihm gewesen, ein wenig Mitgefühl für andere, die schwächer waren als er und sich mit dunklen Kräften herumschlagen mußten, denen sie nicht gewachsen waren. So hätte er zum Beispiel eine Begegnung mit Daniel Blank suchen können, nachdem er bei der illegalen Durchsuchung seiner Wohnung das vernichtende Beweismaterial gefunden hatte. Vielleicht hätte er Blank überreden können, ein Geständnis abzulegen, und wäre ihm das gelungen, hätte Celia Montfort nicht zu sterben brauchen, und Blank wäre wahrscheinlich in eine Heilanstalt eingeliefert worden. Die Geschichte, die auf diese Weise ans Licht gekommen wäre, hätte seiner Laufbahn vermutlich ein Ende gesetzt, dachte Delaney, doch seine Karriere schien ihm jetzt plötzlich nicht mehr so wichtig.
    Oder er hätte die illegale Haussuchung zugeben und versuchen können, einen Durchsuchungsbefehl zu bekommen. Oder er hätte aufgeben, den Fall abgeben und einem jüngeren, innerlich weniger beteiligten Polizeibeamten die Bestrafung Blanks überlassen können.
    „Bestrafung." Das war das Schlüsselwort! Sein verwerflicher Stolz hatte ihn dazu getrieben, ein moralisches Urteil zu fällen, und von da an hatte er wie unter einem Zwang Polizist und Richter gespielt. Er hatte, von seinem Hochmut verleitet, Gott gespielt.
    Zu viele Jahre im Dienst. Man fing damit an, daß man als Streifenpolizist Familienstreitereien schlichtete, ein Salomon in Uniform, und hörte damit auf, daß man einen Menschen in den Tod hetzte, weil man wußte, daß er schuldig war, und weil man ihn für seine Schuld büßen lassen wollte. Das war Stolz, nichts als Stolz. Nicht der verständliche menschliche Stolz auf die Bewältigung einer schwierigen Aufgabe, sondern Anmaßung, die einen dazu verführte, über einen anderen Menschen zu Gericht zu sitzen, ihn zu verurteilen und hinzurichten. Wer würde über Captain Edward X. Delaney zu Gericht sitzen, ihn verurteilen und hinrichten?
    Irgend etwas in seinem Leben hatte eine falsche Entwicklung genommen, das sah er jetzt. Er war nicht etwa damit auf die Welt gekommen. Es hatte nichts mit seinen natürlichen Anlagen, nichts mit seiner Erziehung oder dem Milieu, in dem er aufgewachsen war, zu tun, so wie auch Blanks Trieb zum Morden nichts mit Anlagen, Erziehung oder

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