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Die erste Todsuende

Die erste Todsuende

Titel: Die erste Todsuende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lawrence Sanders
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Es mußte etwas geben, was man begreifen konnte, das erklärte, warum dieser Mann vorsätzlich fünf Menschen ermordet hatte. Darunter vier, die er gar nicht gekannt hatte.
    Wenn es dafür keine Erklärung gab, dachte Delaney zornig, dann gab es für nichts eine Erklärung.
    Es war beinahe zwei Uhr morgens, als er seinen Mantel überzog und noch einmal hinausging. Das Gelände rings um die Blockhütte war hell beleuchtet, ebenso der Trampelpfad, der zwischen den schwarzen Bäumen entlangführte, und der kahle Felspfeiler. Wie gewöhnlich standen dort einige Leute herum, den Kopf im Nacken, den Mund geöffnet und die Augen nach oben gerichtet. Ungeniert stellte sich Captain Delaney zu ihnen.
    Die frische Nachtluft tat ihm gut. Der Wind wimmerte leise, und die Sterne waren wie gezackte Löcher in einem schwarzen Vorhang, hinter dem ein strahlender Glanz herrschte. In gleißendes Licht getaucht, ragte der Schaft des Teufelszahns empor. Seine Oberfläche wirkte in dieser Beleuchtung noch glatter als sonst. War er dort oben? War er wirklich dort oben?
    Captain Edward X. Delaney überkam plötzlich ein so tiefes Mitleid, daß er den Mund schloß und sich auf die Unterlippe biß, um nicht laut aufzuschreien. Unaufgefordert, ja unerwünscht nahm er Anteil an den Leiden dieses Mannes, kroch in ihn hinein, erkannte, wie er litt. Er hatte dieses Band, das nun zwischen ihnen bestand, nicht gewollt, aber es war da, er konnte es nicht verleugnen. Die Verbrechen, das Motiv, der Grund dafür - all das kam ihm jetzt unwichtig vor. Was ihn marterte, war der Gedanke an den einsamen Mann dort oben, der sich von allem gelöst hatte. War das der Grund, warum die Menschen sich hier versammelt hatten, warum sie Stunde um Stunde, Tag und Nacht hier standen? Wollten sie den Gequälten trösten, so gut sie konnten?
    Als ihm einige Tage darauf - er wußte nicht, ob inzwischen drei oder vier Tage vergangen waren, am späten Nachmittag wieder der übliche Umschlag mit den Luftaufnahmen überbracht wurde, sah er, daß das Ende nahe war: Daniel G. Blank lag nackt auf seinem Felsen, die Arme ausgebreitet, das Gesicht dem Himmel zugewandt. Delaney betrachtete die Bilder, atmete tief ein und wandte den Blick ab. Dann schob er sie wieder in den Umschlag, ohne sie noch einmal anzusehen. Er heftete keines der Fotos draußen an die Wand.
    Kurz darauf rief Major Barnes an.
    „Delaney?"
    „Ja."
    „Hier Barnes. Haben Sie die Aufnahmen gesehen?"
    „Ja."
    „Ich glaube nicht, daß er es noch lange macht."
    „Nein. Wollen Sie rauf?"
    „Nicht sofort. Wir werden uns das von der Luft aus noch ein oder zwei Tage lang ansehen. Es wird kälter."
    „Ich weiß."
    „Nur keine Hast. Wir haben eine gute Presse. Das haben die Appelle mit der Flüstertüte bewirkt. Alle schreiben, daß wir tun, was wir können."
    „Ja, was wir können."
    „Eben. Aber eine Schlechtwetterfront ist von den Großen Seen her im Anzug. Bewölkung, Wind, Schnee, Frost. Wenn wir hier einschneien, stehen wir dumm da. Ich schlage vor, am 6. Januar. Morgens. Einerlei, was bis dahin ist. Was meinen Sie dazu?"

    „Mir ist's recht. Je eher, um so besser. Und wie wollen Sie vorgehen? Klettern oder mit dem Hubschrauber?"
    „Hubschrauber. Einverstanden?"
    „Ja. Das wird das beste sein."
    „Gut. Dann beginne ich mit den Vorbereitungen. Ich komme morgen rüber, dann können wir alles besprechen. Schade, wahrscheinlich ist er bis dahin tot."
    „Ja", sagte Captain Delaney. „Wahrscheinlich."
    Die Welt war Gesang geworden für Daniel Blank. Ein einziger Gesang... Alles sang. Nicht Worte, nicht einmal eine Melodie. Es war vielmehr ein endloses Summen, das in seinen Ohren klang und so tief in ihm nachhallte, daß jede Faser seines Körpers zu vibrieren schien. Er hatte weder Durst noch Hunger. Vor allem aber hatte er keine Schmerzen. Und er war dankbar dafür. Seine verschleierten Augen, über denen die zerkratzten Lider sich fast geschlossen hatten, blickten in einen milchigen Himmel. Das Weiß des Himmels und das Summen wurden eins, und diese nicht aufhörende Harmonie erfüllte ihn mit traumseliger Zufriedenheit.
    Er war glücklich, daß er seinen Namen nicht mehr durch die Luft hallen hörte, glücklich, daß er den Hubschrauber nicht mehr herabkommen und seinen Felsen umkreisen sah. Aber vielleicht hatte er sich das alles auch nur eingebildet. Er hatte sich so vieles eingebildet! Einmal war Celia Montfort bei ihm gewesen, eine afrikanische Maske vor dem Gesicht. Einmal hatte er mit Tony

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