Die Erzaehlungen
den kleinen schwarzen Mann mit den breiten Schultern und dem schäbigen Rock stehen und lächeln.
Und ganz so findet er ihn eine Woche später abends in den Blumensälen. Es ist ihm natürlich, auf ihn zuzugehen und ihn zu begrüßen. Gott weiß warum. Der andere ist auch nicht erstaunt darüber, er fragt nur:
»Sind Sie mit Kranz hier?«
»Kranz wollte nachkommen.«
Pause, und dann: »Ist Ihnen Kranz nicht sympathisch?«
Thalmann nickt jemandem im Parterre zu und antwortet nebenbei: »Sympathisch, machen Sie doch nicht solche Worte. Er langweilt mich.«
»Und sonst langweilen Sie sich nie? « Tragy ist gereizt durch die geringschätzige Art des andern.
»Nein, ich habe nicht Zeit dazu.«
»Merkwürdig, daß man Sie dann hier findet?«
»Wieso?«
»Hier geht man doch nur aus Langweile her?«
»Vielleicht andere, ich nicht.«
Tragy staunt über seine eigene Hartnäckigkeit. Er gibt nicht nach:
»Dann haben Sie also Interesse…?«
»Nein«, macht der Schwarze und geht weiter. Tragy hinter ihm: »Sondern?«
Thalmann wendet sich kurz: »Mitleid.«
»Mit wem?«
»Mit Ihnen zunächst.« So läßt er Tragy zurück und geht, wie damals im ›Luitpold‹, ruhig weiter. Und Ewald ist schon um elf zuhaus und schläft schlecht in dieser Nacht.
Am nächsten Tag ist Schnee gefallen. Alle Welt ist froh über das Ereignis, und die einander in den weißen Straßen begegnen, lächeln sich zu: »Er bleibt liegen«, und freuen sich.
Ewald findet Thalmann an der Ecke der Theresienstraße, und sie gehen ein Stück weit zusammen. Lange still, bis Ewald beginnt: »Sie schreiben, nicht wahr?«
»Ja, auch das, gelegentlich.«
»Auch? So ist das nicht Ihre eigentliche Beschäftigung?«
»Nein «
Pause.
»Was tun Sie denn also, bitte?«
»Schauen.«
»Wie?«
»Schauen und das andere Essen, Trinken, Schlafen, dann und wann, nichts Besonderes.«
»Man sollte meinen, daß Sie sich in einem fort lustig machen.«
»So, worüber?«
»Über Alles, über Gott und die Welt.«
Da antwortet Thalmann nicht, sondern lächelt so: »Und Sie, Sie machen wohl viele Gedichte?«
Tragy wird ganz rot und schweigt. Er kann kein Wort hervorbringen.
Und Thalmann lächelt nur.
»Halten Sie das für eine Schande?« zwingt Tragy endlich heraus und friert.
»Nein. Ich halte überhaupt nichts für etwas. Es ist nur überflüssig. Doch, ich muß da hinauf.« Und im Tor: »Adieu, und Sie können recht haben mit dem Lustigmachen.«
Und nun ist Tragy wieder allein. Er muß an die Zeit denken, da er zehnjährig und verzärtelt aus dem Haus kam, unter lauter Roheit und Gleichgültigkeit, und er fühlt sich ganz so wie damals, erschrocken, hilflos, unfähig. Es ist immer dasselbe. Als ob ihm etwas fehlte zum Leben, irgend ein wichtiges Organ, ohne welches man eben nicht vorwärts kommt. Wozu immer wieder diese Versuche?
Er kommt müde nachhause wie von einem weiten Weg und weiß nicht, was er mit sich beginnen soll. Er stöbert in alten Briefen und Erinnerungen und liest auch die Gedichte durch, jene letzten, leisesten, welche selbst Herr von Kranz nicht kennt. Und da findet er sich und erkennt sich wieder, langsam Zug für Zug, als ob er lange fern gewesen wäre. Und in der ersten Freude schreibt er einen Brief an Thalmann und strömt über von Dankbarkeit:
»Sie haben ganz recht,« heißt es darin, »ich war ja so falsch und phrasenhaft geworden. Jetzt sehe ich Alles ein und begreife Alles. Sie haben mich geweckt aus einem bösen Traum. Wie soll ich Ihnen danken dafür? Ich kann nicht anders, als indem ich Ihnen diese Lieder, das Teuerste und Heimlichste, was ich besitze, übersende «
Und dann trägt Tragy Brief und Gedichte selber an die Adresse, weil die Post ihm plötzlich unsicher scheint. Es ist spät, und er muß im Dunkel vier Treppen aufwärts tasten bis zu dem Atelier in der Giselastraße, welches Thalmann bewohnt. Er trifft ihn in dem lächerlich kleinen Loch, das eigentlich nur wie ein Rahmen ist um das schräge ungeheure Nordfenster, schreibend. Eine alte verbogene Lampe brennt hier, hoch in der Nacht, und hat nicht die Kraft, die vielen Dinge, die ohne Sinn durcheinander liegen, zu unterscheiden.
Thalmann hält sie dem Eintretenden vors Gesicht: »Ach, Sie sinds?« Und er schiebt ihm den eigenen Sessel hin. »Rauchen Sie?«
»Nein, danke.«
»Kaffee kann ich Ihnen keinen mehr machen. Ich hab keinen Spiritus mehr. Aber wenn Sie wollen, können Sie mittrinken.« Und er stellt einen alten henkellosen Topf zwischen sie
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