Die Erzaehlungen
Einladungen erwidern. Umsonst. Er bleibt vergessen. Er mag rufen und Zeichen geben. Seine Stimme reicht nirgends hin.
Und gerade in diesen Tagen ist sein Bedürfnis nach Teilnahme so groß; es wächst in ihm fort und wird ein ungestümer trockener Durst, der ihn nicht demütigt, sondern ihn bitter und trotzig macht. Er überlegt plötzlich, ob er nicht das, was er umsonst erbittet von aller Welt, fordern kann von irgendwem, wie ein Recht, wie eine alte Schuld, die man einzieht mit allen Mitteln, rücksichtslos. Und er verlangt von seiner Mutter: »Komm, gib mir, was mir gehört.«
Das wird ein langer, langer Brief, und Ewald schreibt weit in die Nacht hinein, immer rascher und mit immer heißeren Wangen. Er hat damit begonnen, eine Pflicht zu fordern und, ehe er es weiß, bittet er um eine Gnade, um ein Geschenk, um Wärme und Zärtlichkeit. »Noch ist es Zeit « schreibt er, »noch bin ich weich und kann wie Wachs sein in Deinen Händen. Nimm mich, gib mir eine Form, mach mich fertig…«
Es ist ein Schrei nach Mütterlichkeit, der weit über ein Weib hinausreicht, bis zu jener ersten Liebe hin, in welcher der Frühling froh und sorglos wird. Diese Worte gehen niemandem mehr entgegen, mit ausgebreiteten Armen stürmen sie in die Sonne hinein. Und so ist es gar nicht erstaunlich, wenn Tragy zum Schluß erkennt, daß es niemanden gibt, dem er diesen Brief schicken kann, und daß niemand ihn verstünde, am wenigsten diese schlanke nervöse Dame. Sie ist ja stolz, daß man sie ›Fräulein‹ nennt in der Fremde, denkt Ewald und weiß: Man muß den Brief rasch verbrennen. Er wartet.
Aber der Brief verbrennt ganz langsam in lauter kleinen zitternden Flammen.
Masken
Eine Farbenskizze
(1898)
Das war eine seltsame Zeit, als der blasse Kaiser Rudolf, mit jedem Tag Jahre alternd, auf dem Hradschin saß und Reiche verlor und Sterne gewann. Damals geschahs, daß ein schlichter Mann, in enger Gasse irgendwo, seine Arbeit ließ und hinaus in den Alltag horchte, oder daß ein Greis lange in seinem Garten, nahe dem Stadttor, saß und dem Abend entgegenspähte, oder daß ein Hund um Mitternacht wach wurde und ohne Grund und Gefahr heulte bis in den nächsten matten Morgen hinein. Über den dumpfen Massen aber wuchsen da und dort Menschen empor, überlebensgroß, gleichsam gekleidet in den Feuerschein der bangen nahenden Tage. Und ihr Schatten lag schwer über ihrer Zeit.
So war des Kaisers heimlicher Sohn: Julius Caesar. Als müßte er alle Träume, die sein Vater unter dem strengen Gewand des spanischen Hofes nur verborgen hatte träumen dürfen, leben: so war er.
Das war auf der Feste Krummau, welche die Habsburger von den Rosenbergen übernahmen. Heute noch besteht der Maskensaal, und seine Wände leben von hohen, bunten Freskogestalten. Hinter jedem Paar scheint eines und noch eines sich zu rühren, Pagen und Narren drängen sich schmeichelnd und schäkernd durch die Reihen, und die Grenadiere an den Türpfosten sind ein mächtiger Schrecken, heute noch. So begreift mans: die Leute loben den alten, unbekannten Maler sehr. Ich aber weiß, obwohl ich den Toten nicht kränken will, daß das Bewegliche in den Figuren nicht ihm zu Verdienst gehört, sondern es liegt daran, daß die Gestalten nie recht erstarren. Sie müssen alle immer wieder erwachen, um die eine Nacht zu feiern. Diese aber hub an:
Ritter und Damen erfüllen den strahlenden Saal mit ihrem schimmernden Gewimmel. Bis die riesigen Grenadiere an der Tür die Hellebarden hart auf den Boden stellen. Da ordnen sich die Reihen. Ein Donner rollt über sie hin. Mit seinem wilden, schwarzen Sechsgespann ist Julius Caesar an der ragenden Rampe vorgefahren und kaum einen Atemzug später steht er, schlank und schwarz, mitten unter den Gästen. Wie eine Zypresse im wehenden Ährenfeld. Dann mischt die Musik die Menge; eine fremde Musik, welche beim Aneinanderstreifen der köstlichen Kleider zu entstehen scheint und wachsend, breit und brausend aus den Massen sich erhebt, wie die Melodie eines Meeres. Da und dort teilt der schwarze Prinz mit einem Wink die willigen Wellen, verschwindet in ihnen, taucht an einem anderen Platz, schwarz, aus den glänzenden Gästen empor läßt sein leuchtendes Lächeln wie einen verlorenen Sonnenstrahl über sie hingleiten und schleudert, an eine Säule gelehnt, ein helles, königliches Wort, wie ein Juwel, mitten ins Gewoge. Alle haschen danach. Und unter dem wühlenden und immer wilderen Hin und Wieder geht leise die heimliche Lust auf.
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