Die Erzaehlungen
An des silbernen Ritters Seite erkennt der Prinz ein blasses, blaues Fräulein und fühlt zugleich: Liebe für die Blaue, Haß für den Silbernen. Und beides in ihm ist rasch und rot. Er neigt sich dem Paar. Schau, hat er den Ritter zum König gemacht? Denn dem fließt über den blanken Panzer ein Purpur nieder, immer breiter und blutender, bis er stumm zusammenbricht unter den Falten des fürstlichen Mantels. »Es geht manchem König so«, lacht ihm der Schwarze in die sterbenden Augen. Da erstarren die festlichen Gäste vor Grauen, und ehe sie noch ihr Lächeln vergessen, blassen sie langsam in die verlöschenden Wände zurück, und kahl wie Felsland steigt der verlassene Saal aus ihren letzten leuchtenden Wellen.
Nur Julius Caesar bleibt und das gierige Glühen seiner trotzigen Augen versengt dem zitternden Fräulein die Sinne. Allein wie er sie greifen will, entwindet sie sich seinen zwingenden Blicken und flieht in den schwarzen, hallenden Saal; ihr dünnes, blaues Seidenkleid bleibt zerfetzt, wie ein Stück Mondlicht, in den gierigen Fingern des Prinzen, und er windet es sich um den Hals und würgt sich damit. Dann tastet er ihr nach in die Nacht hinein und jubelt jetzt auf. Er hört: sie hat die kleine Tapetentür entdeckt, und er weiß: nun ist sie sein. Denn von da gibt es nur einen Weg die schmale Turmtreppe, die in das kleine duftende Rundgemach mündet, hoch im Moldauturm. In sicherer und übermütiger Hast ist er hinter ihr, immer hinter ihr, und er vernimmt nicht ihren verscheuchten Schritt, aber wie einen Glanz ahnt er sie vor sich bei jeder Biegung der Treppe. Da faßt er sie wieder und jetzt hält er das zarte, angstwarme Hemdchen in der Hand, nur das Hemdchen, und seinen Lippen und Wangen scheint es kühl. Es schwindelt ihn, und wie er seine Beute küßt, lehnt er zögernd an der Wand. Dann, mit drei, vier Tigersprüngen taucht er hinauf in die Tür des Turmgemachs und erstarrt: hoch vor der Nacht ragt, nackt, der reine weiße Leib, wie am Fensterrande aufgeblüht. Und reglos bleiben beide. Aber dann, ehe er’s noch denkt, heben sich zwei helle, kinderzage Arme aus der Gestalt in die Sterne hinein, als wollten sie Flügel werden, es erlischt etwas vor ihm, und vor dem hohen Fensterbogen ist nichts mehr als hohle, heulende Nacht und ein Schrei…
Fernsichten
Skizze aus dem Florenz des Quattrocento
(1898)
Sie hatten einander beide vergessen. Der Pfad, der lange zwischen hohen Heckenrosen durch entlegenes Gelände lenkte, hob sie plötzlich unvermittelt empor ins Freie, ins Licht, und hielt die zwei jungen Menschen Florenz hin: nimm sie. Und die Stadt aus Marmor nahm das Geschenk. Sie nahm den Jüngling und nahm das Mädchen und trennte sie so. Denn es war ein anderes Florenz, welches jedes von ihnen entführte. Die Stadt des Beato Angelico war Simonettas Heimat, und sie schritt mittendurch, angstfremd und ganz in Weiß auf Santa Maria del Fiore zu. Der junge Mann im dunkelknappen Purpurkleid ahmte den steilen Bürgerburgen nach und wuchs mit ihren wachsamen Türmen. Seine Züge spannten sich, wurden reif und vollendeten sich wie unter einem unsichtbaren Meißel. Er spähte den Arno entlang und verharrte horchend. Dann sagte er eifern: »Und es raucht noch.« Simonetta kehrte auf ihrem heimlichen Kirchengang um, rief sich her, verwirrte sich und fand Giuliano nicht gleich, weil er gealtert war.
Er wurde ungeduldig und streckte den Arm aus, heftig, als wollte er einen Pfeil von unsichtbarem Bogen senden: »Siehst du es nicht?«
Das Mädchen erschrak. Es schickte seine Blicke hinaus, hilflos, hastig irgendwohin.
Suchend kreisten sie um die Kuppeln und Fronten bis nach den spätgoldenen Bergen Fiesoles hin, wurden bang, matt und kehrten heim. Das Zucken ihrer Lider glich einem Flügelschlagen.
Giuliano erwachte, sah, wie grausam er ihre armen Augen gehetzt. Und aus Reue wurde er jung, so jung er nur werden konnte. Und die Geliebte, die das empfand, wuchs, wurde weit und fast mütterlich über ihm.
Sie faßte eine wilde Rose, hob sie zu sich ohne sie zu brechen und las aus der weißen Blätterschale diese leise Bitte:
»Halte mich wert jeder Kunde. Ich höre von nichts hier. Aber sag: was meinst du? Zeig mir den Rauch, welchen du erblicktest. Hilf mir ihn finden und lehre mich, was er bedeutet.« Der Jüngling erzählte zaghaft: »Es war ein großes Feuer in Florenz. Ein Mönch ging, schwarz, durch alle Gassen und lehrte: In allem, was ihr liebt, glüht die Versuchung. Ich will euch erlösen vom
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