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Die Erzaehlungen

Die Erzaehlungen

Titel: Die Erzaehlungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer Maria Rilke
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Glanz.«
    Da rauschte der Arno herauf. Giuliano blickte in den Abend. Alles war Pracht und Verschwendung darin. Wie beschämt sprach er weiter, langsam und zögernd.
    »Sie brachten dem Mönche, was sie liebten: einen Dolch, ein liebes Buch, ein venetianisches Bild, Gold, Steine, Ketten…, viele Frauen Samt und Purpur und ihr eigenes Haar, und Alles wurde in seinen harten Händen Flamme.« Die junge Stimme zürnte und verlosch in den Worten: »und nach der Flamme Qualm und Asche und Armut.«
    Mit gesenkter Stirne ging der Jüngling weiter. Er brachte es nicht über sich zu gestehen, daß er selbst sein Geschmeide zum Holzstoß legte, zehn Tage vorher. Scheu schritt er links am Rand des Pfades hin. Ganz rechts am anderen Saum ging Simonetta. Der Weg war leer. Sonne war darauf. Es wurde wie ein Strom zwischen den beiden. Sie hörten ihn rauschen. Stille.
    Dann riefen sie einander. Jedes aus seiner Bangigkeit heraus. »Giuliano.«
    Stille.
    »Simonetta.«
    Stille. Der Strom wurde immer breiter.
    »Sei nicht bang«, kam es von rechts, weither.
    Stille. Dann rief es links:
    »Woran denkst du?«
    »Dann sind aber die Menschen jetzt arm?«
    »Ja.«
    Und von rechts: »Und Gott?«…
    Irgend etwas schrie aus dem Jüngling heraus: »Gott auch.« Er stand, taumelte, tastete, und dann fühlten die jungen Körper einander, und sie blieben, eng verwachsen, inmitten des Weges wie ein Mensch. Sie behielten geschlossene Augen. Noch waren sie zu schwach, anderswo beisammen zu sein, als in dieser gemeinsamen engen Nacht.
    Dann dachte Simonetta: Wie bist du, Lieber?
    Und dunkel fragte sich Giuliano: Wie soll ich deine Schönheit nennen?
    Sie wurden traurig; denn keines wußte vom andern ein Bild.
    Endlich hoben sie zugleich die Blicke hoch, als gälte es, den Himmel zu finden.
    Aber da fanden sie sich, und lächelten im Erkennen. Als sagten sie einander in lauter Staunen: Was bist du tief.
    Dann war kein Weg mehr zwischen ihnen und kein Strom.
    Die Fernen vergingen immer mehr in Dämmerung, und es blieb nur soviel Welt um sie wach, als sie brauchten, um sich beschirmt und allein zu fühlen.
    Später, als das Mädchen langsam müde wurde, sagte es: »Du, heute möcht ich dich zu irgendwem führen. Aber ich habe keine Mutter mehr.«
    Da kamen die Sterne schon, und die Luft zitterte mit der kleinen hellen Aveglocke von S. Niccolò.
    Da bat er: »Führ mich zu Gott.«
    Sie trat vor ihm in die Porta S. Niccolò und war wie ein Licht neben ihm in dem kühlen Schatten der Gassen. Hand in Hand, wie an der Spitze eines langen, festlichen Zuges stiegen sie die Stufen der kleinen Kirche hinauf. Drinnen knieten sie lang unter Allen allein.
    Und da war Gott sehr reich.

Leise Begleitung
(1898)
    Die Mutter sitzt am Fenster und stickt. Gestern und heute und morgen auch alle Tage. Und der Läufer ist noch kaum zur Hälfte fertig und schon ganz welk. Es drängt eben nichts zur Vollendung; kein Fest steht bevor, nirgends. Oft träumen ihre Hände, und sie sieht ihnen zu und denkt: was werden sie tun? Da ist sie lauter Erwartung, die blonde Frau. Aber die Hände sind einfach müd und bleiben liegen mitten im Weg. So ereignet sich nie etwas. Höchstens, daß sie sich wieder weiterschleppen den gelben Kanevas entlang. Wie Pferde sind sie, welche an einem Quai Schiffe stromaufwärts zerren. Und Schiffe sollten doch in Freiheit fahren über die vielen Flüsse, ins Meer, in alle Meere.
    Heimlich aber ist Frau Beate ganz froh, daß ihre Blicke so gebunden sind. Sie schickt sie nicht gern im Zimmer umher, obwohl es reich und behaglich ist und warm von Septembersonne.
    Sie sieht auch nicht auf, als ihr Sohn eintritt. Er ist achtzehn, blond und blaß. Sein harter Mund widerspricht seinen Augen, die ewig flehende sind. Und er scheint darin verloren, diesem Streit zuzuhören ohne Spannung, fast gewohnheitsmäßig. Einmal gibt er dem Zorn recht, einmal der Zagheit. Und dabei wird er immer unsicherer. Wer kann helfen? Der Vater hat nicht Zeit, und die Mutter ist so, als müßte ihr selbst jemand helfen kommen. Man kann nicht zu ihr flüchten, man läuft an ihr vorbei; sie ist zu wenig breit und wird wie ein Mädchen alt.
    Es gibt also keine Aussprache mit ihr.
    Und der junge Mensch geht quer durch das Zimmer der Tür zu.
    »Adieu«, sagt er und will gleichgültig aussehen.
    Da erschrickt die Mutter und breitet schnell ihre Seele aus, die wie ein Brautkleid ist: duftende Vergangenheit. Doch was weiß der Achtzehnjährige davon? Er geht drüber hin mit seinen großen

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