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Die Erzaehlungen

Die Erzaehlungen

Titel: Die Erzaehlungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer Maria Rilke
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versichern. Diese Zwischenbemerkung, welche sie als Eingeweihte und Wissende erscheinen ließ, imponierte ihr sehr, und sie hielt dieselbe für einen feinen Angriff gegen die »undankbare Verschlossenheit dieser Leute«.
    Frau Wanka aber hatte gar nichts, weder von der Enttäuschung der Oberstin, noch von dem Hieb bemerkt, in welchem diese sich rächte; sie mußte in diesen Tagen so manches mit sich überlegen, und die Folgen ihrer Versonnenheit traten jetzt Schlag um Schlag in rascher Reihe ins Leben. Da war zunächst in einer böhmischen und in einer deutschen Tageszeitung je ein kleines Inserat erschienen, welches einem anständigen, jungen Mann ein stilles, gutmöbliertes Zimmer in ruhiger Gegend versprach, und wer den Spuren dieser Verheißung nachgegangen wäre, hätte sich unversehens auf der Kleinseite gefunden, hätte die Hökin unter den Steinlauben nach »Nummer 87 neu« gefragt und die breite, ausführliche Antwort erhalten, daß dies drei Treppen hoch bei Wankas sei und daß Wankas jetzt an Herren abmieten wollten, wahrscheinlich weil sie gar so unglaublich viel Unglück gehabt hätten. Es kommt nun darauf an, ob der junge, anständige Mann mehr jung oder mehr anständig ist, um hier im lauschigen Plauderdunkel der Steinlauben mehr oder wenig von dem Schicksal der Förstersfamilie zu vernehmen. Es ist ungewiß, inwieweit Ernst Land unterrichtet war, als er an einem Novembertag auf der bekannten Wendeltreppe von »87 neu« zweimal in Gefahr kam, Hals und Beine zu brechen, und nachdem unterschiedliche Türen vor seiner deutschen Frage entrüstet ins Schloß gefallen waren, endlich vor der alten Rosalka stand, welche ihn mit großem Mißtrauen betrachtete. Er gefiel ihr nicht, das wußte sie im Augenblick. Er war ihr »zu deutsch«. Das empfand sie dann und wann einem Menschen gegenüber, obwohl sie nicht wußte, was diesen Eindruck hervorrief, kaum, ob es ein Zuviel oder ein Mangel war. Sie starrte in die Gläser seines angelaufenen Kneifers, konnte die Augen dahinter nicht finden und ließ sich die deutsche Frage zweimal wiederholen, obwohl sie dieselbe verstanden hatte. Es versöhnte sie erst ein wenig, als der junge Herr in einem sehr seltsamen Böhmisch unter großen Anstrengungen die Geschichte eines Zimmers erzählte, welches irgendwo zu vermieten sein sollte. Seit fünf Tagen wiederholte Land diese Behauptung vor allen Türen und war ganz satt und matt von den Speisedünsten und Verwünschungen, welche er dafür mitbekommen hatte. Da Frau Wanka, mit welcher er sich deutsch verständigen konnte, keine unverhältnismäßigen Ansprüche machte, und das Hinterzimmer ihm ruhig und erträglich schien, beschloß er zu bleiben. »Lärm mache ich keinen«, sagte er mit seiner etwas ängstlichen Stimme am Ende ihrer Unterredung, »und gestört werden Sie durch mich nicht sein. Unter Tags bin ich ja viel im Geschäft, und abends, Gott, da liest man ein wenig und …« »Bitte, bitte«, erwiderte Frau Wanka auch etwas verlegen. Und in der Türe wandte sie sich etwas zurück: »Verzeihen Sie, Herr, vielleicht darf ich fragen, was Sie sind?« Pause. »Apotheker«, sagte der junge Mensch traurig und sah dabei in die Mauern der Malteserkirche hinein. Sie störten einander wirklich nicht, Wankas und der junge Provisor. Sie sahen einander kaum. Luisa vermied es, ihm zu begegnen; es schmerzte sie zu sehr, einen fremden Menschen in das Zimmer des Zdenko eintreten zu sehen, und sie konnte nicht fassen, wie die Mutter das hatte über sich bringen können. Sie verstand die Mutter überhaupt nicht mehr, seit sie ihr eines Abends eine lange Rede gehalten hatte, drin viel von dem ewigen Nichtstun, mehr noch von Pflicht und Arbeit handelte. Und als sich Luisa zage bereit gefunden hatte, in die Häuser zu gehen oder für ein Geschäft zu arbeiten, geschah etwas sehr Erstaunliches. »Du mußt höher hinauf, das ist nichts für dich«, so etwa war die Erwiderung der Witwe, »ich hätte gleich von vornherein daran denken sollen. Wozu hast du denn in Krummau Klavierstunden genommen; da kamst du doch ziemlich weit. Und im Französischen. Wenn du es nach unserem Umzug nach Prag nicht vernachlässigt hättest, könntest du heute schon Stunden geben.«
    Luisa lauschte: »Stunden geben?«
    »Freilich. Erst neulich sagte mir die Frau Oberstin, sie wüßte eine schöne Stelle für dich, wenn du nur ein bißchen mit Kindern umzugehen verständest und die Anfangsgründe im Französischen …« Das Weitere vernahm Luisa gar nicht, es war

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