Fremde Gäste
1
»Ich bin völlig deiner Meinung«, sagte Paul.
Ich war überrascht. Mein Mann stimmt selten mit Larry, unserer nächsten Nachbarin und Freundin, überein. Obwohl die beiden einander gut leiden können, scheinen sie ein seltsames Vergnügen darin zu finden, über jedes Ding in dieser Welt verschiedener Meinung zu sein. Ich kam gerade ins Zimmer, als Paul das sagte, und fragte gleich, in welcher Angelegenheit sie übereinstimmten.
»Wegen der Anhalter«, sagte Larry. »Da ist wieder mal so ein Fall, wo eine Frau von einem Kerl überfallen wurde, den sie mitgenommen hatte. Es ist einfach ein Blödsinn, wenn eine Frau Tramper mitnimmt, jedenfalls wenn es Männer sind.«
Da mußte ich ihr recht geben. Ich bin zwar auf unseren ruhigen Landstraßen noch nie angehalten worden, aber ich würde es mir zweimal überlegen, ehe ich so ein männliches Wesen mitnähme, wie sie in den Straßen der Stadt herumlungern und nach einem geeigneten Autofahrer Ausschau halten.
Mit Mädchen ist das natürlich etwas anderes. Wenn man sie so müde und schwer bepackt dastehen sieht, hält man selbstverständlich und erklärt sich bereit, sie mitzunehmen, vorausgesetzt, daß sie keinen männlichen Begleiter haben.
»Ich kann einfach nicht begreifen«, sagte Sam — er ist Pauls Freund und Larrys Mann-, »warum manche Frauen es doch tun. Immer wieder werden sie davor gewarnt; trotzdem werden sie das Opfer solcher Halunken, die ihnen ihr Geld wegnehmen oder sie aus dem Auto werfen und dann damit abhauen.«
In unserer Mißbilligung waren wir uns absolut einig; das war doch mal eine Sache, in der wir alle vier von Grund auf einer Meinung waren. Denn obwohl wir seit zwölf Jahren befreundet waren, schien die Verbindung meist gerade durch die Meinungsverschiedenheiten zu gedeihen, besonders bei Paul und Larry. Schon jetzt störte mein Mann fast wieder den Frieden, als er, zwar taktvoll, aber ehrlich sagte: »Es freut mich, nun endlich doch einmal gesunden Menschenverstand bei dir feststellen zu können, Larry! Es gab ja Zeiten, wo ihr beide, du und Susan, für jedes närrische Abenteuer zu haben wart. Jetzt aber...«
»Jetzt«, unterbrach ihn Larry und imitierte genau Pauls Art und seinen Tonfall, wenn er uns eine Lektion für angemessenes Verhalten junger Mütter gibt, »jetzt bemerke ich zu meiner Freude, daß ihr beide doch einen gewissen Schimmer von Einsicht zeigt. Es war aber auch höchste Zeit!«
Damit war der Krieg wieder einmal erklärt, und wir kamen von dem Thema »Anhalter« immer weiter ab. Doch zum Schluß meinte Paul: »Wenn du auch noch soviel Unsinn redest, Larry, ich bin sehr erleichtert, daß ihr, du und Susan, einseht, wie dumm es ist, wenn eine Frau so ein Mannsbild im Auto mitnimmt.«
Nach alledem war es wohl ziemlich unverständlich, daß ich das drei Tage später doch tat. Ich nahm einen Anhalter nicht nur im Auto mit, ich bot ihm sogar meine Gastfreundschaft an!
Das kam so: Ich wollte von Te Rimu aus die Heimfahrt antreten. Da sah ich am Stadtrand eine müde Gestalt den fahrenden Autos zuwinken. Es war ein naßkalter Tag, der überhaupt nicht in die hochsommerliche Zeit paßte, aber ein solches Wetter schien für dieses Jahr typisch zu sein. Das bedauernswerte Geschöpf stand im Regen; aus den langen, goldblonden Haaren liefen die Tropfen herab. Diesem Haar konnte ich nicht widerstehen. »Wie schön muß es sein, wenn es trocken ist«, dachte ich. Jetzt war es so lang und triefnaß; irgendwie sah es mitleiderregend aus.
Ich stoppte den Wagen und sagte: »Ich fahre aufs Land. Kann ich Sie irgendwo absetzen?«
Sie nickte kurz und kletterte ins Auto. Ihr Schweigen wunderte mich, und ich fragte: »Wo wollen Sie denn hin? Kann ich Sie hinbringen?«
Ich fuhr hoch, als die Antwort kam: »Ach, irgendwohin, je weiter, desto besser. Ich suche Arbeit auf einer Farm.«
Nicht diese Worte überraschten mich so sehr, daß ich den Motor abstellte, obgleich es seltsam genug schien, daß sich eine Arbeitslose nach einem Job auf dem Lande umsah. Es war die Stimme, die sicherlich nicht einem jungen Mädchen gehörte. Ehe ich den Motor wieder anließ, besah ich mir meinen Mitfahrer, der mir jetzt sein Gesicht zuwandte. Er hatte nicht nur lange Haare, sondern auch ein dünnes, goldblondes Bärtchen. Tatsächlich! Ich hatte das Verbot übertreten und einem jungen Mann von etwa zweiundzwanzig Jahren und vermutlich gewalttätiger Art einen Platz in meinem Auto angeboten. Die Bestürzung war mir wohl anzusehen, denn erfragte:
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