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Die Erzaehlungen

Die Erzaehlungen

Titel: Die Erzaehlungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer Maria Rilke
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Frauen, Mutter und Tochter, leisteten ihm nun schon den zweiten Tag Gesellschaft, und die alte Rosalka kam ab und zu und erzählte dem tauben Schmerz der beiden von der Pracht und dem Glanze anderer Grüfte. Daß der Hügel des Zdenko nicht so recht festlich werden wollte, trotz der vielen Levkoien, Astern und Vergißmeinnicht, kam daher, daß durch allen Schmuck irgendwo immer wieder das nasse, neue Erdreich durchdrang, in welchem der Grassamen noch nicht Zeit gehabt hatte, aufzugehen. Etwas scheu schien das frische Grab sich zurückzuziehen wie einer, der zum erstenmal in einer Gesellschaft ist, deren Art und Anstand er noch nicht kennt. Auch die beiden Gäste fanden nicht recht die Sprache des Verkehrs mit dem Verlorenen, und so mag des toten Zdenko erster Feiertag recht trübe gewesen sein. Frau Josephine weinte nicht mehr. Sie saß auf einem der Holzbänkchen, wie sie sich am Fußende der Grabstätten finden, und hatte gewiß vergessen, daß der fremde, feuchte Herbstabend immer dichter über ihr hereinsank. Die Tochter, die in dem Kleidchen von schwarzem Kaschmir noch kleiner und blasser aussah wie sonst, beobachtete, ohne daß sie davon wußte, die Szene, die an einem Grabe gegenüber geschah. Ein hagerer, verhärmter Mann hatte eben eine kleine, blaue Lampe und einen Maiglöckchenstrauß auf die Stätte niedergelegt, und es war eine zaghafte, rührende Zärtlichkeit in seiner Bewegung gewesen, etwas von jener unbeholfenen Anmut junger, verliebter Menschen. Aber wie er nun wieder aufrecht stand und sein weinendes, dreijähriges Kind an den schwarzen verschnittenen Sonntagsrock preßte, da brach diese Geste hart ab, und eine zitternde, hoffnungslose Wehmut begann ihn zu beugen. Er kämpfte mit ihr und suchte immer wieder die Augen des Kindes, vielleicht um zu wissen, wie die Augen der Mutter waren, oder um sich daraus ein wenig Glanz und Hoffnung zu holen. Das Kind aber weinte…
    Da schob sich eine Gruppe von schwarzgekleideten, jungen Männern in dem Nationalrock, der Tschamara, zwischen Luisa und jene beiden Mutterlosen. Es waren größtenteils Studenten, Freunde und Genossen des Wanka, welche an diesem Tage mit politischen Ovationen und Liedern an die Gräber ihrer Großen und Genossen kamen, um sie über das Gesetz der Gleichheit, welches in diesen stillen Mauern herrschte, zu erheben. Der Widerstand, der ihrem Beginnen jedes Jahr aufs neue von den vorsichtigen Behörden entgegengesetzt wurde, war Schuld daran, daß diese Kundgebungen einen über alle Herzlichkeit lauten prahlerischen Charakter bekamen und das jugendliche Ungestüm sich nicht mit dem leisen Niederlegen seiner blühenden Liebe begnügen wollte. So ordneten sich auch jetzt die Reihen, um an Wankas Grab eines der scharfen Kampflieder anzustimmen, welches den mit allem Versöhnten an die Tage des Sturmes erinnern sollte. Es mußte dem getreuen Genossen und Wanka war in Treuen gestorben doch auch lieb sein, von dem Ausharren der Brüder zu vernehmen, er mußte gleichsam einen Augenblick wieder mitten unter sie treten, wenn seine eigenen Worte und Wünsche über seinem Hügel erwachten. Allein als schon das Zeichen des Anfangs gegeben werden sollte, traten die jungen Leute mit einem dumpfen Gemurmel auseinander. Sie schämten sich plötzlich, ihr rohes Streitlied in den tiefen, geweihten Schmerz dieser schwarzen Frauen hineinzuschreien, und die Besten unter ihnen ahnten die Ewigkeit. Sie senkten den großen Kranz, in dessen Immergrün Karten mit ihren Namen staken, ganz an das Ende des Grabes nieder, als empfänden sie unbestimmt, daß der, welcher bis an diesen Platz Hand in Hand mit ihnen gewandert war, doch nicht mehr voll zu ihnen gehörte, wenigstens in seiner eigensten Sehnsucht nicht.
    Und aus ihnen blieb Rezek zurück. Ernst und hoch, die Arme auf der Brust verschränkt, stand er da und hatte nur das blasse harte Gesicht, wie sinnend, gesenkt. Vielleicht war er der einzige, welcher dachte, daß Zdenko an der zerstörten Freude gestorben sei, wenngleich er selbst es am wenigsten verstehen konnte. Er war eine strenge Savonarola-Natur, welche da und dort im Land Scheiterhaufen entzündete; und es kamen junge, gläubige Menschen, welche ihren ganzen Reichtum in die Flammen legten: die Freude und das Lachen und die Sehnsucht. Denn der Fanatiker wollte ein verarmtes und entsagendes Heer hinter sich, weil er wußte, daß es keine wildere Waffe giebt, als die Verzweiflung. Und sein Gesetz fand Anhänger auch in diesem weichen, slavischen Volke,

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