»Die Essensfälscher«. Was uns die Lebensmittelkonzerne auf die Teller lügen
Schinken« als »Produktinnovation« an; der ist zwar eine alte westfälische Spezialität, sei nun aber auf »die Bedürfnisse des wachsenden Marktes für Fertigprodukte zugeschnitten« worden und verleihe Pfannkuchen, Suppen und Salaten »im Handumdrehen eine herzhafte Note«.
Der Wettbewerbsdruck und die Wachstumslogik, in denen die Konzerne gefangen sind, erzeugen eine aberwitzige Flut von »Neuheiten«, die allermeistens faktisch weder neu noch qualitativ besser sind. Im Gegenteil: Oft bieten sie den Herstellern die Gelegenheit, das Lebensmittel trotz unveränderter oder sogar minderer Qualität teurer zu verkaufen als das Vorgängerprodukt. Das Verhältnis von echten und nur behaupteten Neuheiten ist ungefähr so miserabel wie in der Finanzbranche, die sich bis vor kurzem gerne mit ihren »kreativen und innovativen Produkten« brüstete; in Wahrheit aber, spottete einmal Paul Volcker, der legendäre Präsident der US -Notenbank Federal Reserve, sei die einzige sinnvolle Innovation der letzten Jahrzehnte der Geldautomat gewesen.
Auch die Pharmaindustrie ist bekannt dafür, dass sie in Ermangelung bahnbrechender neuer Medikamente zum Beispiel zur Krebstherapie oder gegen Multiple Sklerose auch noch die harmlosesten Rezepturänderungen von Medikamenten zu Innovationen stilisiert und sie mit entsprechend hohen Preisen in den Markt drückt. Mit ihrem verschlimmbessernden Innovationshype ist die Lebensmittelindustrie auf dem besten Weg, den vorgenannten Branchen beim Imageverlust zu folgen.
Schaut man sich genauer an, was während der letzten Jahrzehnte tatsächlich an originär Neuem aus den Laborküchen der Essensmacher kam, bleiben im Grunde nur zwei Neuerungen übrig, die den Titel »Innovation« möglicherweise verdienen: Convenience-Produkte und Tiefkühlkost. Tiefkühlkost, weil Rohstoffe so länger frisch gehalten und über weite Strecken transportiert werden können – allerdings unter erheblichem Energieaufwand. Convenience-Produkte (convenience = Bequemlichkeit), weil sie das Kochen erleichtern und beschleunigen und küchen-, gar-, zubereitungs- oder sogar verzehrfertig angeboten werden; sie reichen von der Ravioli-Konservenbüchse bis zur Tütensuppe und zur Fünf-Minuten-Terrine, von den Fischstäbchen bis zu Fertigklößchen. Ihr Siegeszug führte sie längst auch in die Küchen von Berufsköchen, die sich zum Beispiel gerne industrieller Soßenfonds aus dem Plastikeimerchen bedienen. Mit gutem Grund kann man einwenden, dass sowohl Convenience- als auch Tiefkühlprodukte eigentlich nur eine Variation in der Darreichungsform sind, eine Art Geldautomat. Auch behauptet niemand, dass vorgeschnittener Salat, der seit Tagen im Supermarkt liegt, und Pizzen aus der Tiefkühltruhe qualitativ besser sind als frischer Salat und frische Pizzen – aber das erwartet auch niemand, es handelt sich nun mal um Tiefkühlkost und Fertigessen. Allerdings machen es hochgradig verarbeitete Produkte der Branche leicht, dem Kunden »Innovationen« anzudrehen, die eigentlich nur Mogelpackungen sind. Wer erkennt schon, ob der Käsebelag auf der Tiefkühlware echter Käse oder Imitatkäse ist, ob dort wirklich Schinken oder nur als solcher ausgegebenes Formfleisch in Gelmasse verwendet wurde? Die Möglichkeiten für Täuschung des Kunden sind bei Fertigessen gewaltig. Und dies nutzt die Branche konsequent.
So bleibt am Ende eine ziemlich durchwachsene Innovations-Bilanz, in der nur eines sicher ist: dass der Umsatz stimmt. Fertiggerichte sind der Renner, nicht einmal die Rezession beeinträchtigt ihren Verkauf. Im Gegenteil: Lieber verzichten die Menschen auf Restaurantbesuche und greifen dafür häufiger zu Convenience Food – zu Getrocknetem, Geputztem, Vorgekochtem, Zerkleinertem oder zu Tiefkühl-Toastys. Neun von zehn Kindern essen mindestens jeden dritten Tag ein Fertiggericht, jeder Deutsche verzehrt heute statistisch fast acht Kilogramm mehr Tiefkühlkost als vor zehn Jahren, insgesamt 39 Kilo.
Selbst Weltmarktführer Nestlé, der mit seinen rund 3500 Mitarbeitern im »Forschungs-Netzwerk« unter Experten als Innovationsführer der Branche gilt, listet auf seiner Website gerade mal neun Produkte als »Meilensteine« aus 140 Jahren Nestlé-Innovationsgeschichte auf. Und an welchem »Meilenstein« wollte man ohne Zögern einen Haken dranmachen, wenn als Kriterium gilt, dass der Verbrauchernutzen mindestens ebenso wichtig sein muss wie der Vorteil fürs Unternehmen? Tatsächlich eine »bahnbrechende Innovation«
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