»Die Essensfälscher«. Was uns die Lebensmittelkonzerne auf die Teller lügen
anders ernähren möchten; nur jeder dritte deutsche Verbraucher habe Spaß am Einkaufen von Lebensmitteln (37 Prozent), 63 Prozent sagten aus, dass ihnen der Lebensmitteleinkauf keine Freude mache. Als Grund dafür nennt Nestlé »vor allem die Widersprüche zwischen der Einkaufswirklichkeit und den Wünschen der Verbraucher. Denn während die Discounter nach wie vor die bevorzugte Adresse für den Einkauf von Lebensmitteln sind, träumen die Deutschen am häufigsten vom Einkauf auf dem Wochenmarkt. Und dies, obwohl in Wirklichkeit nur jeder vierte Verbraucher dort einkauft.«
Nicht erst seit der Nestlé-Studie weiß die Branche, was zu tun wäre, und unterlässt es dennoch. Gefangen im Wettbewerb und seiner Wachstumslogik macht die Lebensmittelindustrie einfach weiter wie bisher, so als gäbe es keine Alarmsignale. Doch ihre Kunden sind lustlos, frustriert, verärgert, erschlagen von der Scheinvielfalt, verwirrt von den dubiosen Werbeversprechen, von den Mogeleien und Betrügereien in und auf den Verpackungen. Die Kunden wollen gerne persönlichere, ehrlichere Beziehungen zu ihrem Lebensmittelhersteller und -händler, ebenso wie auf dem Wochenmarkt, wo man sich kennt und schätzt. Schon klar: Die Vorstellung vom gemütlichen Schwatz mit der Gemüsehändlerin auf dem Marktplatz ist romantisch und kitschig, in jedem Fall aber illusorisch für den allergrößten Teil der Deutschen, die im Supermarkt und beim Discounter einkaufen
müssen
, aus zeitlichen und finanziellen Gründen. Als Anleitung zum Bessermachen ist der Wochenmarkt-Traum deshalb noch lange nicht unbrauchbar. Auch sonst behauptet die Branche ja gern, sie wisse, wie man »Träume wahr werden lässt«.
2 Traumfabrik Essen –
Wellness, Gesundheit,
Schönheit, Schlankheit
Übers flache Land in Mecklenburg-Vorpommern zwischen Lübeck und Wismar fährt ein Landarzt zu seinen Patienten. Er macht das schon seit mehr als drei Jahrzehnten und erinnert sich mit einem Schmunzeln an jene Zeit vor 15, 20 Jahren, als es in manchen Häusern üblich war, morgens einen Schnaps zu trinken, in den Knoblauch und allerlei anderes Gewächs eingelegt waren. »Jeden Morgen zwei Zentiliter auf nüchternen Magen – das galt als sehr gesund«, erzählt der Landarzt. Heutzutage mache das keiner mehr, heute gebe es »andere Rituale«.
Heute trifft der Doktor bei seinen Hausbesuchen immer wieder auf Patienten, deren morgendliches Ritual darin besteht, ein Plastikfläschchen des Trinkjoghurts »Actimel« des französischen Lebensmittelmultis Danone zu leeren –, und zwar so gewissenhaft wie andere Leute morgens in der Bibel lesen oder nach dem Betablocker oder Blutverdünner in ihrer Pillenschachtel greifen. Etwa jener ältere, allein lebende Mann, der dem Doktor gegenüber gerne betont, er mache das wirklich
jeden
Morgen, ganz eisern. »Damit will er mir sagen, dass er nun wirklich nicht mehr tun kann für seine Gesundheit, als täglich mindestens ein, wenn nicht zwei oder drei Fläschchen Actimel zur Stärkung seiner Abwehrkräfte zu trinken«, erzählt der Arzt. Manche ältere Frauen sind, wenn der Doktor bei ihnen erhöhte Blutfettwerte diagnostiziert hat, völlig überrascht: »Ich kann mir das gar nicht erklären, Herr Doktor«, sagen sie dann, »ich streiche doch seit Jahren Becel auf mein Brot« – so heißt die cholesterinsenkende Margarine des niederländisch-britischen Konsumgüterkonzerns Unilever. Und wenn die Patientinnen den Landarzt dann ratlos fragen, »Wie kann das sein, Herr Doktor? Becel ist doch viel teurer als andere Margarinen, dann muss die doch auch was nützen!«, bleibt ihm meistens nicht viel mehr übrig als freundlich zu antworten, dass das mit dem Cholesterin schon ein bisschen komplizierter sei.
Überall in Deutschland ereignen sich täglich ähnliche Szenen – in Supermärkten, in Gesprächen zwischen Eltern und Kindern, auf Schulhöfen. Der Lebensmittelbranche ist es gelungen, durch permanentes Behaupten in vielen Köpfen die Botschaft zu verankern, durch den Verzehr ganz bestimmter Lebensmittel könne man weit mehr erreichen als nur seinen Hunger zu stillen und dabei im besten Fall auch zu genießen. »Becel«-Margarine gegen zu hohe Cholesterinwerte und probiotische »Actimel«-Joghurts zur Stärkung der Abwehrkräfte, vergleichbar der Grippeimpfung im Herbst, sind nur die prominentesten Beispiele für den alarmierenden Trend zu jenen Lebensmitteln und Möchtegern-Medikamenten aus der Laborküche, die durch die Anreicherung mit
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