Meister Li und der Stein des Himmels
Barry
Hughart
Meister
Li und der Stein des Himmels
Roman
Aus dem Amerikanischen vön
Manfred Ohl und Hans Sartorius
Fischer
Taschenbuch Verlag
Die
Hauptpersonen
MEISTER LI (»Ich heiße Li, mein Vorname ist
Kao, und ich habe einen kleinen Charakterfehler«). Der unvergleichliche
chinesische Meister der alten Schule ist einem neuen Geheimnis auf der Spur. Er
muß nicht nur zwei rätselhafte Morde aufdecken und das unheimliche Sterben von
Bäumen und Pflanzen erklären, sondern auch in die Hölle steigen und den Huren
beim himmlischen Jadekaiser eine neue tatkräftige Schutzpatronin erbitten.
NUMMER ZEHN DER OCHSE, ist inzwischen nicht mehr Klient
des Meisters, sondern sein Gehilfe. Er darf die Abenteuer nicht nur erleben,
sondern muß sie auch niederschreiben. Trotz aller Gefahren kommen die
sinnlichen Freuden bei ihm nie zu kurz.
DER EINÄUGIGE WONG und DIE FETTE FU, arbeiten
hart, um den schlimmen Ruf ihrer Kneipe zu wahren.
DAME HOU, eine wunderschöne Prinzessin und
eine der größten Dichterinnen ihrer Zeit ist ein Opfer der neo-konfu-zianischen
Intrigen. Sie löst ihr Problem drastisch, das heißt mit einem Dolch.
BRUDER BLINZEL, ein Mönch mit großen Schwächen,
denen er bedauernswerterweise erliegt und damit das Unheil in Gang setzt.
DER LACHENDE PRINZ, hinter diesem Namen verbirgt sich
ein Ungeheuer, dessen Wirken jede Vorstellungskraft übersteigt.
PRINZ LIU, ein Maler mit besonderen
Fähigkeiten, der ein schweres Erbe verwaltet und eine zwielichtige Rolle
spielt.
KLAGENDE
MORGENDÄMMERUNG, eine Hure ohne Erinnerungen, aber mit einer langen Vergangenheit; sie
ist auf der Suche nach einem Stück Seele.
MONDKIND, ein Wunder, wenn es um Töne, ein
Verführer, wenn es um Sinnenlust geht. Aber seine Aufgabe im Leben verlangt von
ihm ein schweres Opfer.
KÖNIG SHIH HU, ein großer Herrscher mit einer
gefährlichen Leidenschaft: Er sammelt besondere Menschen.
GOLDENE MÄDCHEN, schöne Amazonen, die nur ihren
König lieben, ihn eifersüchtig schützen und an seiner Seite kämpfen.
Prolog
Meister Li hat festgesetzt,
daß der Tag Jen Wu meinen literarischen Bemühungen vorbehalten bleibt.
Ich hatte nichts dagegen, daß es kalt war und regnete und daß der Tag sich für
wenig anderes eignete, als Tusche zu verspritzen. »Ochse«, sagte Meister Li
nachdenklich, »seit du deine Erinnerungen schreibst, wird deine Handschrift
zwar immer besser, aber den Inhalt deiner Aufzeichnungen muß ich in Frage
stellen. Warum wählst du mit Vorliebe die ungewöhnlichen Fälle, in denen das Geschehen
melodramatisch Amok läuft ?«
Heldenhaft verkniff ich mir
die Antwort: »Weil es immer so ist .«
»Wenn du dich darauf
verläßt, daß die Wirkung der Worte nur auf Effekten beruht, dann bist du daran
schuld, daß man beim Lesen nicht mehr denken muß. Außerdem«, fügte er etwas
pikiert hinzu, »gewinnt man den Eindruck, ich sei gewalttätig und skrupellos.
Dabei bin ich das nur, wenn es notwendig ist. Warum erzählst du nicht einmal
eine heitere, unbeschwerte und eher erfreuliche Geschichte? Wähle einen Fall,
in dem es um philosophische und nicht verrückte Dinge ging .«
Ich bohrte mir mit meinem
Mäuseschnurrbartpinsel in der Nase und versuchte, mich an so einen Fall zu
erinnern. Es kam nicht mehr dabei heraus, als daß ich Tusche in den
Nasenlöchern hatte. »Shi tou chi«, sagte er.
Ich starrte ihn ungläubig
an. »Ich soll versuchen, diese schaurige Geschichte zu erzählen ?« erwiderte ich mit hoher gepreßter Stimme. »Ehrwürdiger
Meister, Ihr wißt sehr gut, daß mir damals beinahe das Herz gebrochen ist, und
ich...«
»Shi tou chi«, wiederholte er.
»Wie kann ich die
Geschichte vom Stein des Himmels erzählen ?« jammerte
ich. »Erstens weiß ich nicht, wie sie anfängt, zweitens bin ich mir nicht
sicher, daß sie ein Ende hat, und drittens..., selbst wenn ich das Ende
verstünde, würde es mir nichts nützen, weil ich den Anfang nicht verstanden
habe .«
Er sah mich schweigend an.
Dann sagte er: »Mein Junge, hüte dich vor solchen Sätzen. Davon kannst du
Pickel und Gesichtszucken bekommen .« »Ja, Meister«,
sagte ich.
»Beginne am Anfang, so wie
du ihn verstanden hast, berichte bis zur Mitte, erzähl weiter bis zum Ende und
hör dann auf«, sagte Meister Li, schlenderte aus dem Haus, um sich zu
betrinken, und überließ mich meinem Elend. Was kann ich über den vollkommenen
Stein sagen? Ich weiß mit Sicherheit nur das Datum, an dem wir in diesen
Schlamassel hineingezogen wurden: der
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