Die falsche Frau
was um Himmels willen denn wohl in meine Kollegin
gefahren sei, zuckte ich nur die Achseln.
Von drauÃen hörte ich stark gedämpft und rasch leiser werdend das
Geräusch eines Hubschraubers.
56
Am nächsten Vormittag las ich Jonas Jakobys Tagebuch zu
Ende, nachdem mich noch tausend Menschen zu meiner Heldentat beglückwünscht
hatten. Das Ende war so bedrückend banal. Der Tod ist oft so enttäuschend
langweilig. Das Schlimmste, was einem Menschen zustoÃen kann â ein blöder
Irrtum, ein dummes Missverständnis.
Jakoby war es an jenem Abend gelungen, Judith Landers fast bis zu
dem Haus zu folgen, wo ihre Helfer sich eingenistet hatten, wo vielleicht auch
sie selbst eine Weile hatte wohnen wollen. Helena hatte ja mehrfach betont, die
Terroristin habe immer mit Netz und doppeltem Boden geplant. Erst zwei
Kilometer von dem Haus entfernt hatte Jakoby die Terroristin aus den Augen
verloren, als er von Beierlein angehalten wurde, dem übereifrigen Polizisten.
Nach über einer Stunde und endloser Sucherei im strömenden Regen
hatte er sie schlieÃlich wiedergefunden beziehungsweise ihr Rad, das neben der
Tür an der Wand lehnte. Er war zu dem Haus geschlichen, hatte durchs Fenster gespäht.
All das schilderte er haarklein, geradezu detailversessen. Vielleicht, weil er
sich später, beim Aufschreiben, selbst von irgendetwas hatte überzeugen müssen.
Im Inneren des Hauses hatte er die geheimnisvolle Frau gesehen, die
beiden Männer, einer davon Peter von Arnstedt, das Ziel seiner unerwiderten
Liebe. Die drei waren bester Stimmung gewesen, hatten getrunken, die Männer
reichlich, die Frau nur symbolisch.
Auf dem Tisch hatten Kerzen gebrannt.
Jakoby mutmaÃte, jemand habe an dem Tag Geburtstag gefeiert. Ich
prüfte es nach, aber es stimmte nicht. Judith Landers war an Heiligabend
geboren, von Arnstedt im Mai und Prochnik Anfang Juli. Dann waren sie
vorübergehend ernst geworden, hatten kurz etwas anhand einer Zeichnung auf dem
Tisch besprochen, diskutiert, und nach etwa einer Dreiviertelstunde hatte die
Terroristin sich plötzlich verabschiedet. Man hatte sich herzlich umarmt.
Als sie drauÃen war, hatten die Männer sich noch einmal umarmt, zu
innig, nach Jakobys Geschmack, entschieden mehr als freundschaftlich. Jakoby
hatte vor Schreck ein Geräusch gemacht. Er war entdeckt und unter groÃer
Verwunderung und lautem Gelächter ins Haus gezerrt worden. Die beiden anderen
waren schon ziemlich angetrunken gewesen. Peter von Arnstedt hatte anfangs
nicht verstanden, weshalb der späte und völlig durchnässte Ãberraschungsgast so
aufgelöst war. Als Jakoby endlich mit dem Grund seiner Neugier herausrückte,
hatte er schallend zu lachen begonnen.
Was weiter geschah, konnte selbst der Täter nicht mehr exakt
rekonstruieren. Plötzlich hatte er etwas in der Hand gehalten, etwas Schweres,
und hatte einfach zugeschlagen. Ohne Warnung. Ohne Plan. Von Arnstedt war
umgekippt, Jürgen Prochnik war zurückgewichen, hatte Jakoby angebrüllt, die
Arme schützend über den Kopf gehoben. Es hatte ihm jedoch nichts genützt.
Den Rest hatte Jakoby wie in Trance erledigt, im Fieberwahn einer
zerstörten Hoffnung, einer enttäuschten Liebe. Der Propangasherd in der Küche,
ein roter Schlauch. Das Ventil der Gasflasche war nicht zugedreht gewesen, im
Weglaufen hatte Jakoby noch das Zischen gehört.
Propangas ist schwerer als Luft. Es breitete sich am Boden aus und
verhinderte, dass die beiden dort liegenden Männer wieder zu sich kamen.
Mehr und mehr Gas war ausgetreten.
Auf dem Tisch hatten Kerzen gebrannt.
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