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Die falsche Herrin

Die falsche Herrin

Titel: Die falsche Herrin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margrit Schriber
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Artikel über Gnade bei Recht. Sie beraten, tuscheln, wiegen die Köpfe. Sind dafür. Sind dagegen. Sind unentschieden. Wollen einrenken. Schluss machen mit dem Theater. Endlich ihr Zvieri essen und nach Hause gehen.
    Die ganze Zeit über traktiert Richter Reding seine Tabatière. Er sagt kein Wort. Als die Herren ihn um das letzte, das entscheidende Wort in dieser Affaire folle bitten, legt er die Tabatière hin, steht auf und öffnet das Fenster. Er beugt sich über die Brüstung und schaut auf den Rathausplatz hinab. Die Chaise rumpelt gerade über das Pflaster.
    «Ohä!»
    Kerzengerade sitzt seine Tochter im Polster, einen Arm auf dem gefalteten Lederverdeck. In der anderen Hand hält sie einen gerüschten Parasol über den Lockenkopf. Das Ross wird immer wieder von herumstehendem Volk, Zugtieren und Karren aufgehalten. Ihre Lilienfinger trommeln aufs Verdeck, bis die Chaise mit einem Ruck weiterfährt. Dabei stäubt jedes Mal etwas Puder aus ihrer Lockenperücke und rieselt auf das Kleid. Wie mit Mauerkalk bepinselt erreicht sie den Platz beim Galgen.
    «Der Totsch», murmelt der Richter. «Keine Räson. Keine Contenance. Keine Noblesse.» Sein Kind, sein Stolz macht sich zum Gelächter. Wie eine rachsüchtige Gewöhnliche. Er seufzt und erhebt den Blick zum Himmel. Die Imitation saugt seiner Tochter das Leben aus den Adern. Muss jene jetzt auch noch ihre Amour heiraten? Und muss er es sein, der eigene Vater, der sein Kind um die Erleichterung der Rache bringt?
    Sein Beschluss steht fest.
    «Meint er, Magnus Weber, Sohn eines Rothgärbers aus der Römischen Reichsstadt Wangen, es aufrichtig? Will er Anna Maria Inderbitzin in christlicher Liebe heiraten?»
    «Ja.»
    Reding schlägt die Faust auf den Tisch. Er ist rot vor Zorn. Sollen die zwei in Gottes Namen heiraten. Und dann des Weges ziehen. Weit weg von Schwyz. Nach Peking oder so! «Sie soll herkommen, die Bitzenin!»
    Der Nachrichter führt sie herein. Da ist sie, die Braut im Hemd aus Flachs, die Arme auf den Rücken gekreuzt, die Füße in den Eisen und das Haar über dem gesenkten Gesicht.
    «Draußen steht der Galgen. Hier steht der Bräutigam. Wähle!»
    Ihr Blick fällt auf das rotseidene Tuch, das der als Bräutigam Bezeichnete durch die Finger gleiten lässt. Sie schaut auf, nur für einen Augenblick, gerade lange genug, um der Feder in die Regenbogenaugen zu sehen.
    Ob sie verstanden habe.
    Sie nickt. Sie will ihn.
    Ihre Fesseln werden gelöst. Sie verlangt nach ihren Kleidern.
    «Der welsche Putz?» Ist dies ihr Ernst? Begreift Delinquentin ihre Lage? Falls sie wieder in ihr altes Leben zurückfällt, wird das Urteil nachträglich vollstreckt.
    Sie schleudert die Zotteln aus dem Gesicht. Etwas wie Trotz oder Zorn in ihrem Blick.
    «Lasst ihr den Firlefanz!»
    Die Hände der Bitzenin und des Unberührbaren werden ineinander gelegt. Die Feder kratzt übers Pergament. Magnus Weber ex Algoia de parochia Niderwangen et Anna Maria in der bizi parochiana mea. Punkt. Und Richter Reding herrscht die Verdutzten an, rasch die Papiere zu unterschreiben, die Kirchenglocke in Muotatal läuten zu lassen und danach außer Landes zu verschwinden.
    Klappernd jagt draußen eine Chaise fort. Ein Parasol wirbelt übers Verdeck.
    Es wird erzählt, der Richter habe bei seiner Heimkehr den Parasol aufgehoben und die zerfetzte Rüsche an einen Dornenstrauch gehängt. Just in dem Moment habe ein Pfiff die Schlattlischlucht gesprengt.

Glossar der französischen und Innerschweizer Ausdrücke und Redewendungen
    Affaire folle: verrückte Angelegenheit
    Anken: Butter
    Balme: einfache Alphütte
    Cayer: (alt: für cahier) Verzeichnis
    Chambre de Reflexion: ‹Zimmer zum Denken›, Beratungszimmer
    Chriesibrägel: Kirschauflauf
    Chrützen: Armlehnstuhl seitlich des Altars
    Clergés: geistliche Würdenträger, 1. Stand des Königreichs
    Comme c’est mignon!: Wie niedlich!
    dertwäretsi: quer
    erchlüpft: erschrocken
    Fazolet: Taschentuch
    Flarz: eitrige Feuchtigkeit der Augen
    Flungg: nasser Rock
    Gaden: Stall
    geklönt: gejammert
    Genossame: Körperschaft, (Dorf-)Korporation
    Geschopft: in Wülsten
    Geusler: kleine Schiffig für Personenverkehr
    gierend: knarrend
    Gluße: Funken
    Große Schiffig: im Mittelalter aktive Schiffergesellschaft
    Haaruus!: Schlachtruf der Eidgenossen
    Helgen: gemaltes (Öl-)Bild
    Holzrugel: Rundholz
    Ici n’est pas Versailles: Hier ist nicht Versailles
    Kabisplätz: Küchengarten
    Karisieren: liebäugeln
    La fille s’est sûrement enfuie: Das

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