Die falsche Herrin
Sieurs, der noch mit seinen fünfzig Jahren aufs galoppierende Pferd springt. Die Großzügigkeit trotz offensichtlicher Beschränktheit der Mittel. «Der überaus eleganten und bezaubernden Tochter fehlt es dort an nichts. Sie wird verwöhnt wie eine Prinzessin.»
«Die Bitzenin! Schon wieder!» Redings Pfiff gellt zu den Ställen. Sein Kurier rennt mit dem Ross herbei.
«Bring sie! Schleif sie! Tot oder lebendig.»
Reding schlägt dem Ross auf die Flanke. Es stiebt davon, dem Westen zu, dem Sonnenuntergang.
«O Gott, diese Betrügerin!», haucht das Fräulein Reding. Sie ist kreidebleich. Sie seufzt. «In meinem Namen! Und auf meine Kosten!»
Als der Bote aus Schwyz auf dem Château Montlau eintrifft, ist die jubelnde, spritzende Waschfrau von Joannes auf dem Weg nach Versailles.
Die Jahreszeit ist schlecht gewählt. Herbstnebel verhängen das Land, Regen prasselt auf das Verdeck der Chaise. Auf dem schlechten Weg werden die Fahrgäste durchgeschüttelt und bis an die Decke hochgeschleudert. Der Boden ist ausgeschwemmt, die Räder versinken im Schlamm, mehrmals müssen die Fahrgäste aussteigen, weil Ackergäule zu Hilfe geholt werden müssen, um die Chaise aus dem Dreck zu ziehen. Jedes Mal dauert es Stunden. Und es ist eine Tortur, sich im Wust der langen, schweren Kleider in die enge Chaise hineinzuhieven und so in die Ecke des Polsters zu drapieren, dass der Stoff nicht zerknittert wird. Der Sieur allein benötigt zum Verstauen seines ihm bis auf die Schuhschnallen fallenden Mantels einen zweiten Platz. Denn er trägt die Insignien der Connetablie: Spitzhut und Talar aus Samt, mit gelben Säumen und Tressen verziert. Er gleiche, meint Madame, einer riesigen Woge, die irgendwo ein Ufer überspülte und sich jetzt mit einem Cayer als Schaumkrone durch die Wälder des Poitou wälzt.
In jeder Stadt, die sie passieren und die genau eine Tagesreise von der nächsten entfernt liegt, werden die Pferde ausgewechselt. Die Schenken entlang des Wegs erwecken kein Vertrauen. Noch viel weniger das Gesindel auf offenem Feld, die Umherziehenden sans feu, sans lieu, sans aveu. Zu schweigen von den Gefahren durch die Raubzüge der Banden von Verelendeten. Die Bitzenin drängt zur Weiterfahrt.
«Um Papa nicht zu verpassen», wie sie sagt.
Am Abend des vierzehnten Tages erreicht die Chaise das Tor des Königshofs. Es wird von Gardisten bewacht, und es herrscht ein beängstigendes Gedränge von Karren und Reitern und Fußvolk. Aus allen Ecken strömen sie herbei. Vor Staffeleien hocken Maler, Neugierige recken am Tor die Hälse. Die weißen Quadern der Schlossbauten schimmern in der Ferne. Die Gartenanlage ist ein mit Zirkel und Richtschnur angelegtes Paradies mit Alleen, Verbindungswegen, Terrassenfeldern und gestutzten Baumgruppen. In sanften Stufen sinken die Terrassen vom Schloss bis zum Großen Kanal, in dem die untergehende Sonne ein Feuer entzündet. Acht Meter hohe Mauern aus Blättern trennen die Räume voneinander ab, die buchsgesäumten Blumenornamente sind eine über den Boden gebreitete Tapisserie. In diese Komposition sind Säulengänge aus schillerndem Marmor und Statuen eingefügt, von berühmten Bildhauern geschaffen. In den Teichen begleiten Götter des Olymps in Bronze die Wasserspiele.
«Der Gartenarchitekt André Le Nôtre schuf für den Sonnenkönig ein Fest aus Feuer und Wasser», heißt es.
«Die Nächte erstrahlen im Feuer des Lichts. Der Hof staunt. Die Stadt staunt. Und das ganze Königreich staunt.»
Auf dem Spinnennetz der Kieswege kreuzen sich die Wege von Pferden und Kutschen und Handkarren. Aristokraten, Minister, Mätressen, Boten und Trabanten sind unterwegs, eilen oder spazieren um die künstlichen Seen.
Die Gardisten prüfen Dokumente.
Mademoiselle hat nichts vorzuweisen. Außer ihrem Knicks und ihrem Medaillon mit dem Bildnis von Maman. Ein Gardist übergibt Sieur von Montlau einen Brief. Er trägt das Siegel der Reding.
Da begehre die Bitzenin, die Chaise zu verlassen und zu Fuß ein Stück voranzugehen. Sie hebt die Flut der Röcke an, will ihr Stickschühchen aufs Trittbrett setzen. In dem Moment wird sie gepackt. Grob wird sie gepackt, heruntergerissen von der Chaise. Sie wird zum Wachgebäude gestoßen, trippelt durch die Pfützen, das Gesicht zur Schlossauffahrt mit den Eibenkegeln, schnurgeraden Kanälen und eingerahmten Feldern. Sie gibt keinen Laut von sich. Nur der künstliche Garten auf ihrem Hut zittert leise. Er rutscht ihr vom Kopf, als der Uniformierte sie
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