Die falsche Herrin
Strafe und einen Lohn. Die Redingin kann wieder sorglos in der Chaise durchs Land Schwyz kutschieren. Es gibt nur sie, die einzige, das hohe, gnädige Fräulein. Der Imitation wird das Leben genommen.»
Damit hat sich alles eingerenkt.
Doch dann taucht in einer Wegbiegung der Unberührbare vor dem Reding’schen Gefährt auf. Aus dem Nebel, dem Hinterhalt. Er ergreift das Zaumzeug des Pferds und zwingt es zum Stehen.
«Er kam als Bittsteller», meinen einige Leute im Dorf. «Es ging um die Bitzenin. Aber sie hat den Namen dieser anderen überhört, sie hat gar nicht zugehört, taub, wie sie war. Sie hat ihn in die Chaise gezerrt, mit einem Ausdruck von Gier im Gesicht. Er wich vor ihrem Zugriff zurück.»
«Es gibt keine Zeugen», halten andere dagegen. «Es war eher umgekehrt. Und die Jungfer schrie, weil der Verrückte ihr den Weg abschnitt. Weil sie mit einem Unberührbaren nichts zu tun haben und sich die neuen Polster nicht verseuchen lassen wollte.»
«Kein Mensch hat einen Hilferuf gehört. Es ist also eher wahrscheinlich, dass ihre schon ein wenig fleckige Lilienhand den Vorhang teilte. Dass ihre Finger über seine auf den Türschlag gelegte Hand glitten. Es zerriss die Redingin im Innersten, dass sie glaubte, sie müsse sterben, weil diese Hand nie ihr Gesicht berühren, sich nie unter ihre Kleider schieben, nie ihren Körper betasten wird.»
«Und er faselt von der Bitzenin.»
«Er bestieg die Chaise, so viel steht fest. Da der Türschlag von innen verriegelt war, muss sie geöffnet haben, damit der Unberührbare ins gepolsterte Innere kriechen und sich mit ihr zusammenbetten konnte. Die Chaise fuhr eine Weile ziellos im Kreis herum, dem Blick des Herrenhauses entzogen und fernab des Dorfs.»
Man hat sich gewundert.
«Aber, bei Gott! Sie hat ihm ihr Leben nach hinten und nach vorn anvertraut. Monatelang ist sie über Wolken gegangen. Sie hat gar gelernt, chinesische Zeichen zu malen. Ihre Aussteuer lag bereit. Und dann soll der Geliebte ein Unberührbarer sein? Unerfüllbar, was sie sich erträumt?»
Die Redingin und den Unberührbaren trennt ein himmelweiter Standesunterschied. Dagegen ist eine eingelochte Bitzenin ein Gegenstand ohne jedes Interesse.
Sie fahren zusammen in der geschlossenen Chaise. Da macht man sich Bilder.
Warum sollten die beiden sich nicht ineinanderkrallen in ungezügelter Liebe und sündigen, was das Zeug hält? Sofern die Redingin vergessen kann, dass ihr Leib ein Tabernakel ist. Sofern sie alle in ihre Haut eingebrannten Gesetze missachten und sich aus ihren Fesseln befreien kann. Wenigstens einmal, ein einziges Mal, bevor sie auf Befehl des Richters Reding für immer Abschied von den Freuden der Lust nimmt, um in einem Kloster zu vermodern, während der Unberührbare im Abseits bis ans Lebensende Hunde erschlägt, Häute gerbt und die Kadaver zu Leim verkocht.
Die Chaisentür öffnet sich nach unendlich vielen Runden. Der Unberührbare taumelt heraus. Die Lilienhand greift durch den Vorhang, als wolle sie winken.
Aber da hat ihn schon der Nebel verschluckt. Und ihre Hand sinkt herab wie ein welkes Blatt.
Der Galgen wird aufgerichtet. Seit dem Morgengrauen gellen Schläge zu den schroffen Felswänden der Mythen. Aus dem Muotatal kommen Karren und Ochsenfuhren. Sie bringen Verwandte der Streunerin, Neugierige und einige Kameraden ihres im Villmergerkrieg gefallenen Vaters. Auch Joannes Bossert aus Zug ist angereist. Er zwängt sich durch das Gewirr von Karren, Zugtieren, Körben und spielenden Kindern. Er mischt sich in die Menschentraube. Er erzählt überall, dass er der Vormund und der Herr der Missratenen sei, von ihrem Betrug an ihm, ihrer Meuterei, wie sie die Waschfrauen in Zug gegen ihn aufgehetzt hat. Und immer noch aufhetzt. Mit ihrem bloßen Dasein, ihrem Unter-uns-Sein.
Er stellt einen Fuß vor, kreuzt die Arme und schaut jedem einzelnen seiner Zuhörer in die Augen.
«Ihr glaubt, sie hatte nichts im Kopf als die Blümchen von Wersäii? Nicht mein Mündel! Ohälätz! Gebt der Bitzenin den kleinen Finger, und sie nimmt eure Hand.»
Er ruft in den Kreis der Umstehenden: «Was sie wollte, war nicht nur Wersäii! Ganz Frankreich samt dem König!»
Mit der Handkante durchtrennt der achtbare Joannes Bossert aus Zug den Tulpenhals seiner kleinen Wäscherin. Und die Herumstehenden schreien vor Lachen.
Bald pendelt sie am Seil in den Kleidern der Hoffart und mit einem Hut, der allein schon die Saatkrähen unserer Felder erschreckt.
«Wie viele Mücken
Weitere Kostenlose Bücher