Die Familie Willy Brandt (German Edition)
kleine Momente gibt, in denen das sehr forcierte Bemühen um Individualität ad absurdum geführt wird. Natürlich nicht wirklich, denn die drei sind ja jeder für sich sehr ausgeprägte Individuen. Aber die sahen in diesem Augenblick einfach vollkommen gleich aus! Und daran ist nichts zu ändern, und es ist auch nicht schlimm. Und das wäre doch auch einmal eine interessante Frage: Ob das alles so schlimm ist, wenn man sich einander ähnelt?«
Ginge jetzt ein Spaziergänger hinter uns, würde er sehen, dass Matthias Brandt die Füße leicht nach außen setzt und die Hände auf dem Rücken zusammengelegt hat. Ist unser Gespräch ernst?
»Sind Sie ein Familienmensch?«, frage ich Matthias Brandt.
»Niemand kann sich von seiner Familie freimachen, wir sind ja durch sie geprägt, und mich interessiert das auch alles viel zu sehr, als dass ich mich nicht als Familienmensch betrachten könnte. Seitdem ich selbst Vater bin, beobachte ich auch die Veränderungen. Wie verhält man sich? Was für Fehler macht man als Vater? Natürlich macht man Fehler. Ich sehe meinen Vater heute auch sehr viel milder und versöhnlicher als noch vor zehn Jahren, ich bin ganz im Reinen mit ihm. Durch das Verhältnis zu meiner Tochter Naima, durch ihre Existenz hat sich vieles gelöst, viele Dinge, die mir wichtig erschienen, haben sich erledigt und besitzen keine Bedeutung mehr. Ich mag meinen Vater wirklich sehr, und das war schon immer so. Die Liebe ist in ihrem Kern von Schwierigkeiten nicht berührt, behaupte ich jetzt mal.«
»Ist Ihre Tochter eigentlich nach John Coltranes berühmter Ballade benannt?«
»Das kann man so sagen!«
Matthias Brandt, Tochter Naima und Ehefrau Sofia
[Matthias Brandt/privat]
Die Frage, ob er ein Familienmensch sei, stelle ich auch Peter Brandt. »Im engeren Sinne«, antwortet er, »bin ich sicher kein Familienmensch, wie ich selbstkritisch sagen muss, etwas zu viel Willy, aber ich versuche, mich in die Familie einzubringen, weil ich weiß, wie sehr sie uns formt, bindet und auch trägt.« Zu seiner Familie gehören auch seine Stiefkinder Anton und Tatjana, die Antonia Brandt in die Ehe eingebracht hat. Er spricht von ihnen nicht ohne väterlichen Stolz. Sein Sohn Anton hat gerade das erste juristische Staatsexamen abgelegt, und Tanja, eine promovierte Erziehungswissenschaftlerin und Lehrerin, hat ihn zum Großvater gemacht. Die »Stiefenkelin« Rosaria bedeutet ihm viel, und auch mit seiner Nichte Naima unternimmt Peter Brandt hin und wieder Ausflüge, um das familiäre Band zu pflegen.
»Ach, Sie Armer!«, rief ein bekannter rheinischer Fernsehmann unwillkürlich aus, als ich ihm sagte, ich schriebe über Willy Brandt als Familienmenschen. »Der war doch kein Familienmensch!« Hat der hochverehrte Kollege, der ein legendäres Interview mit Brandt führte, bei dem der Kanzler nur mit »Ja« und »Nein« antwortete, recht? Niemand, selbst ein Einsiedler in der Wüste, Major Tom im All oder der Mönch in seiner Zelle kann sich aus seiner Familie entlassen. Segeln wir auch noch so weit hinaus, der Wind, der unser Segel bläht, wird immer daher kommen, von wo wir weg wollen. Willy Brandt hat diese Familie gewollt, was aus ihr wurde und wird, hat er nicht allein und nicht nur diese Familie zu verantworten.
Die Familie Willy Brandt, die mediale Kanzlerfamilie, passte in ihre Zeit, denn sie wurde als modern wahrgenommen, als Spiegelbild gesellschaftlicher und generationeller Konflikte und Umbrüche. Die Frau blieb nicht länger Schattenfrau, ohne jedoch als kämpferische Amazone hervorzutreten. Stattdessen selbstbewusste Präsenz. Sanfte Modernisierung an der Seite eines Mannes, der das Bild des abgerüsteten Mannes vermittelte. Dieser Kanzler und Vater hatte alle soldatische und kriegerische Autorität abgelegt und führte, so lange es ging, durch charismatischen Dialog. Allerdings ist Charisma eine Größe, die schrumpft, sobald ihr Träger den Machtraum verlässt, sich zu Hause in einen Sessel fallen lässt und versucht, mit dem Sohn »Mensch ärgere Dich nicht!« zu spielen. Der älteste Sohn Rebell, insofern Repräsentant des Zeitgeistes, der andere ein empfindsam Reisender in ästhetische Provinzen. Und das Nesthäkchen, ein fröhlicher Junge, dem die große Bühne und das Drama der Politik nichts anzuhaben scheint. Schließlich noch eine Tochter, aus anderer Zeit und Kultur, die in diese Familie integriert ist und das norwegische Erbe am Leben erhält. Auch noch im Rückblick ist das eine Familie, der
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