Die Familie Willy Brandt (German Edition)
ich gerne dabei zusehe, wie sie dem Land ein Gesicht und Gestalt gab.
Für die Brandts heute gibt es kein imperatives Familien-Wir. Sie hocken nicht aufeinander, jeder stellt lebend und arbeitend einen anderen Familienbegriff auf die Beine, kämpft mit dem, mit dem alle Familien zu kämpfen haben: Wie finden wir zueinander, ohne uns aneinander zu verlieren?
Spaziergänge, Impressionen.
Mit Lars Brandt am Rhein entlang.
Mit Peter Brandt durch Hagen, Grunewald und Friedenau.
Mit Matthias Brandt um den Schlachtensee.
Mit Ninja Frahm durch Oslo.
»Wie haben Sie«, frage ich Peter Brandt, »von Ihrem Vater Abschied genommen? Hatten Sie bei ihren letzten Besuchen noch vieles miteinander zu klären?«
»Das brauchten wir nicht, denn wir hatten immer einen Kontakt und haben uns ausgetauscht. Ich hatte nichts mehr nachzuholen, mich bedrängten keine großen Fragen. Wir wussten, wer wir sind.«
»Besuchen Sie die Gräber ihrer Eltern?«
»Ja, natürlich. Auf dem Waldfriedhof in Zehlendorf liegen ja nicht nur meine Eltern, sondern auch meine Schwiegereltern und einige Freunde wie Harold Hurwitz. Dieser Ort ist, ich denke, das kann ich sagen, ein Stück Heimat für mich, denn ich bin ganz in der Nähe aufgewachsen und zur Schule gegangen. Meine Grundschule, die Tews-Schule, liegt gleich um die Ecke.«
Am 23. Oktober 1983 wird Karoline Brandt geboren, und ihre Weltankunft macht Peter Brandt zum Vater und Rut und Willy Brandt zu stolzen Großeltern. Ein knappes Jahr später, am 12. September 1984, kommt Janina Frahm zur Welt, das zweite Enkelkind der Großeltern Brandt, die ihre Enkel zwar nie gemeinsam sehen, aber doch gemeinsam lieben. Karoline Brandt weiß nicht mehr, wo die lebendigen Erinnerungen an ihren Großvater von denen zu trennen sind, die sich durch Erzählungen oder Bilder fermentiert haben. Zwei Szenen erinnert sie jedoch noch recht genau. Eines Tages, sie muss fünf oder sechs Jahre alt gewesen sein, besuchte sie mit ihrem Großvater den Berliner Zoo. Es ist ein schöner Besuch, aber bald sind Presseleute da, Fotografen, die den prominenten Mann umschleichen. Ihre Mutter Gabriele Kunkel-Brandt ärgert sich, dass dieser private Moment gestört wird. Ein anderes Mal hatte ihr der Großvater ein Spiel mitgebracht, ein »Schneckenspiel«, bei dem man würfelt und die Schnecke über verschiedene Felder wandern lässt. Ihr Großvater habe das Spiel mit ihr begonnen, doch plötzlich erschien der Fahrer und drängte eilig zum Aufbruch. »Ich konnte als Kind nicht verstehen, warum er jetzt weg muss, warum wir das nicht zu Ende spielen konnten, ich glaube mich zu erinnern, dass ich in diesem Moment sehr traurig war. Ich habe es nicht verstanden.« Sie freut sich stets über das Mickymaus-Abo, das ihr »Opa Willy« zu jedem Geburtstag um ein Jahr verlängert. Kurz vor ihrem neunten Geburtstag stirbt er. Um zu ihrer Großmutter eine intensive Bindung zu entwickeln, bleibt für Karoline Brandt mehr Zeit. Ihre »Farmor« Rut wird eine enge Bezugsperson für die Enkelin, die ihre Großmutter als Vertrauensperson und bald auch als Vorbild betrachtet. Daher ist es ihr auch wichtig, ihrer Cousine Naima Matilda Brandt, die am 25. August 1999 als Kind von Sofia und Matthias Brandt geboren wird, die Heimat der Großmutter nahezubringen. Im August 2010 reist sie mit der elfjährigen Naima nach Oslo und macht sie mit der norwegischen Geschichte und Gegenwart der Familie Brandt bekannt.
Karolines Cousine Janina ist gerade acht geworden, als ihre Mutter ihr erzählt, dass »Bestefar Willy« gestorben ist. Janina hat ihren Großvater intensiver erleben können, sie ist einige Mal mit ihrer Mutter nach Frankreich in Brandts Ferienhaus nach Gagnières gefahren. Die Bilder jener Tage zeigen einen entspannten, einen heiteren Willy Brandt, der seine Enkelin mit großer Innigkeit zu sich nimmt und liebevoll auf sie eingeht. Ninja meint, ihr Vater habe diese Momente sehr ausgekostet und sei glücklich gewesen. Doch natürlich kann ein Mann wie Willy Brandt vom großen Unterwegs nicht lassen. Von hier und dort aus der Weltgeschichte schreibt er der Enkelin: »Liebe Janina, diese Karte wollte ich aus Seoul schicken. Jetzt kommt sie aber aus Italien, wo ich schnell zu einer Sitzung musste. Vielen Dank für die schöne Zeichnung im letzten Brief von Ninja. Große Umarmung! Großvater Willy.«
Mickymaus-Abo, spendiert von »Opa Willy« für seine Enkeltochter Karoline Brandt.
[Karoline Brandt/privat]
Wenn Karoline und Janina zusammen
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