Die Farben der Sehnsucht
langweilte sich. Und sie brauchte die Ablenkung. Ich glaubte, dass dieses Spitzenmuster genau das Richtige für sie war.
Dankbar, sie zu sehen, brach ich beinahe in Tränen aus. Noch immer war ich so bestürzt wegen des Übergriffs auf Julia, dass meine Gefühle und Emotionen vollkommen aus dem Gleichgewicht geraten waren.
„Hast du schon davon gehört?“, fragte ich und musste mich zusammenreißen, damit meine Stimme nicht zu zittern anfing.
Alix nickte. „Wie geht es Julia?“
„Sie ist nach ein paar Tagen im Krankenhaus nach Hause entlassen worden. Doch sie weigert sich, jemanden außer ihrer Familie zu sehen.“ Mit ihrem geschwollenen und blutunterlaufenen Gesicht hatte Julia Angst davor, was ihre Freunde sagen würden. Sie war direkt in ihrem Schlafzim mer verschwunden und nicht wieder herausgekommen.
Ich konnte sie verstehen.
Nach meiner ersten Krebsoperation, den Kopf in Bandagen gewickelt, hatte ich mich auch unsicher gefühlt. Damals ahnte ich noch nicht, dass das erst der Anfang meines Leidenweges sein sollte. Ich erlaubte meinen Freuden nicht, mich zu besuchen – und später, als ich einsam und entmutigt war, waren nur noch wenige meiner früheren Freunde übrig geblieben, um mir beizustehen. Rückblickend betrachtet wusste ich, dass ich allein an der Situation schuld war – ich hatte meine Freunde weggeschickt.
Und ich hoffte, dass Julia meinen Fehler nicht wiederholen würde.
Alles, was ich tun konnte, war, für meine Nichte zu beten und ihr meine Liebe und Unterstützung zu geben. Ihr Arm würde verheilen und die Blutergüsse langsam verschwinden, doch ich bezweifelte, dass sie jemals wieder das unbeschwerte Mädchen werden würde, das sie noch vor einer Woche gewesen war.
Der Autodieb hatte mehr als nur den Wagen gestohlen.
Er hatte Julias unschuldigen Glauben an eine anständige und sichere Welt geraubt.
Und er hatte damit auch meine Schwester und Matt getroffen.
Wer auch immer das gewesen war – er hatte eine Menge Schuld auf sich geladen, für die er geradestehen musste.
„Haben die Bullen den Typen schon gefunden?“, fragte Alix, während sie zum Tisch im hinteren Bereich des Ladens schlenderte. Dort hielt ich meine Kurse ab. Sie stellte ihren Rucksack beiseite und nahm Wolle und Stricknadeln heraus, die sie diese Woche bereits besorgt hatte.
„Ich habe bisher noch nichts gehört.“ Offen gesagt hatte ich nicht viel Hoffnung. Der Officer, der mit Margaret gesprochen hatte, erklärte, dass das Auto wahrscheinlich noch am Tag des Überfalls auf ein Schiff im Hafen von Seattle gebracht worden war. Offenbar gehörte das neue Auto, das meine Schwester sich ausgesucht hatte, zu einem der begehrtesten Modelle auf dem Schwarzmarkt. Die gesamte Familie war so stolz auf den brandneuen Wagen gewesen – und das verstärkte nur noch die Schuld, die Margaret sich selbst für alles gab.
„Wenn ich du wäre, würde ich nicht darauf warten“, murmelte Alix.
Ich wusste, dass sie der Polizei misstraute. Um ihrem Zynismus entgegenzuwirken, hätte ich etwas Positives sagen sollen, doch ich hatte keine Lust, mich mit ihr zu streiten. Außerdem ging es meiner Schwester nicht darum, das Auto zurückzubekommen. Sie wollte Gerechtigkeit. Sie for dert e Gerechtigkeit. Margaret war kein Mensch, der leicht vergab und vergaß, und sie beschützte ihre Familie wie eine Löwin – vor allem ihre Töchter Julia und die elfjährige Hailey.
Das Glöckchen über der Tür erklang ein zweites Mal, und Susannah und Colette kamen herein. Alle drei Frauen hatten die nötigen Nadeln und die Wolle gekauft. Ich für meinen Teil stellte die Muster zur Verfügung. Das war in der Kursgebühr enthalten. Da Colette und Susannah Anfängerinnen waren, würde ich die meiste Zeit damit zubringen, ihnen zu helfen.
„Susannah, Colette, das ist meine Freundin Alix“, begann ich. „Sie arbeitet im French Café , also habt ihr sie vielleicht schon einmal in der Nachbarschaft getroffen.“
Alix zuckte unfreundlich die Schultern. Ihr Verhalten erinnerte mich daran, wie sie sich in meinem ersten Strickkurs aufgeführt hatte, als sie Jacqueline Donovan gegenübersaß. Ich hatte Alix schon lange nicht mehr so erlebt und wusste, dass irgendetwas sie beschäftigte und ihr Sorgen bereitete. Wieder verkniff ich mir einen Kommentar.
„Colette, warum stellst du dich nicht erst einmal den anderen vor?“ Ich hoffte, dass es ein guter Start in den Kurs wäre, wenn jeder der Teilnehmerinnen etwas über sich erzählte.
„Also,
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