Die Farben der Sehnsucht
Kontrolle habe … und ab und zu ist selbst das nur eine Illusion.“
– Joan Schrouder, weit gereiste Stricklehrerin und Beraterin für technische Fragen in vielen Strick-Foren und – Verzeichnissen
Lydia Goet z
Ich konnte die Veränderung, die Margaret nach Danny Chesterfields Identifizierung durchmachte, kaum fassen. Sie wirkte sogar irgendwie größer auf mich.
Während ich eines Abends das Essen machte, erzählte ich Brad von meinem Eindruck. Er ließ seine Zeitung sinken und starrte mich an. Anscheinend war er der Meinung, dass das ein merkwürdiger Kommentar war.
Wenn er sie jedoch in letzter Zeit im Geschäft erlebt hätte – besonders nach dem vergangenen Wochenende –, hätte er selbst den Unterschied bemerkt.
Margaret, die Mädchen und ich hatten am Wochenende an einem Spendenlauf für „Relay for Life“ teilgenommen, einem Projekt, das Geld für die Krebsforschung sammelte. Es stellte sich heraus, dass es eine gute und sehr emotionale Erfahrung war – nicht nur für uns, sondern auch für Amanda Jennings, eine Bekannte, die wie ich den Krebs überlebt hatte. Julia, Amanda und ich liefen die erste Runde – die Runde der „Survivor“, also der Menschen, die schon einmal mit dem Tod gerungen und diesen Kampf gewonnen hatten. Margaret und Hailey liefen später – sie übernahmen die „Frühschicht“ bei diesem „Lauf ins Leben“, der vierundzwanzig Stunden dauerte.
Ich hatte Amanda durch Annie Hamlin kennengelernt, die Tochter meiner Freundin Bethanne. Vor zwei Jahren kam Annie zu mir, als Amanda gerade einen Rückfall erlitten hatte – der Krebs war zurückgekehrt. Damals besuchte ich Amanda im Krankenhaus, und bis heute halten wir Kontakt.
Annie lief ebenfalls mit uns. Unsere Unterhaltung war fröhlich, und Amanda klang so ausgelassen wie jeder andere Teenager auch. Sie war seit fünfzehn Monaten in Remission, was bedeutete, dass die Krankheitssymptome sich zurückbildeten. Und es ging ihr gut.
Uns allen ging es gut.
An diesem Morgen hörte ich Margaret sogar pfeifen, als sie zur Arbeit kam. Pfeifen. Ich wusste nicht einmal, dass sie das überhaupt konnte. Oh, sie beherrscht das Pfeifen auf zwei Fingern – schon als Kind war sie für ihre trommelfellzerreißenden Pfiffe bekannt. Doch an diesem Morgen pfiff sie eine kleine Melodie. Margaret! Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Wahrscheinlich war es sowieso besser, einfach den Mund zu halten.
Sie war ausgesprochen hilfsbereit. Sobald ein Kunde den Laden betrat, war sie da, bot ihre Dienste oder ihren Rat an und gab Hilfestellung, wenn es gewünscht war. Sie überschlug sich beinahe. Was ein großer Unterschied zu den vorhergegangenen Wochen war, als sie die Menschen, die die Frechheit besessen hatten, ins Geschäft zu kommen, finster anfunkelte.
Diese Veränderung war in mehr als einer Hinsicht willkommen. Ich hatte sie nämlich vermisst. Unsere Diskussionen und vor allem ihre Ansichten, ihre Meinung, was die Veränderungen im Leben unserer Mutter betraf, waren mir unendlich wichtig.
Ohne Margaret mit zu vielen Einzelheiten zu belasten, hatten Brad und ich begonnen, uns nach einer Einrichtung umzuschauen, in der man mit Moms schwindenden geistigen Fähigkeiten zurechtkam und ihren Bedürfnissen gerecht wurde.
Den allmählichen Verfall unserer Mutter zu beobachten brach mir das Herz. Oft musste ich mich zusammenreißen, um nich t mit Margaret über Moms Probleme zu sprechen. Bis vor Kurzem hatten wir noch alle Entscheidungen ge meinsam getroffen.
Als ich ihr vor einiger Zeit in groben Zügen von meinem Gespräch mit Rosalie Mullin berichtet hatte, hatte Margaret störrisch abgewunken und mir vorgeworfen zu übertreiben. Sie hatte behauptet, ich würde mir wegen einer kurzen Unterhaltung mit einer Krankenschwester viel zu viele Sorgen machen. Ich wünschte, sie hätte recht gehabt. Doch ich wusste es besser. Dennoch spürte ich, dass Margaret zu der Zeit mit ihrer Situation mehr als ausgelastet war, und so akzeptierte ich, dass ich mich erst einmal um unsere Mutter kümmern musste.
Als ich meine Mittagspause im Büro beendet hatte, herrschte im Laden gerade eine kleine Flaute. Es war kein Kunde da. Eine günstige Gelegenheit, um mit Margaret über Mom zu reden. „Hast du mal einen Augenblick?“, fragte ich, als ich nun zu meiner Schwester in den Verkaufsraum trat.
Margaret blickte von ihrer Häkelarbeit auf. „Sicher. Was gibt es?“ Ich konnte mich nicht entsinnen, wann Margaret zuletzt so ausgesprochen liebenswürdig
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