Die Farben der Sehnsucht
stand.
„Eine Kleinigkeit für dich – von Alix.“
„Alix?“ Mit einem verwunderten Blick wandte Grandma Turner sich zu ihr um.
„Öffnen Sie es einfach.“
„Warum solltest du mir etwas schenken?“
Die Antwort auf diese Frage war ganz leicht. „Weil ich Sie lieb habe.“
„Oh, Alix“, sagte die alte Dame und seufzte. „Du bist das beste Geschenk, das ich mir nur wünschen kann.“ Kopfschüttelnd fügte sie hinzu: „Mein Enkel hätte gar keine bessere Wahl treffen können. Ich freue mich so für euch beide.“
Alix musste gegen die Tränen ankämpfen, die ihr in die Augen zu steigen drohten.
„Mach schon das Geschenk auf, bevor wir uns alle in den Armen liegen und heulen“, scherzte Jordan und tat so, als würde er sich die Tränen abwischen.
Seine Verlobte stieß ihm ihren Ellbogen in die Rippen, während seine Großmutter den Deckel öffnete und das Seidenpapier zurückschlug.
„Alix hat es selbst gestrickt“, erklärte Jordan, bevor seine Großmutter überhaupt die Chance hatte, den Spitzenschal aus dem Geschenkkarton zu nehmen.
„Es ist der Gebetsschal, den ich schon einmal erwähnt habe“, sagte Alix. „Man strickt solche Schals für die Menschen, die einem wichtig sind. Oder für Menschen, die Trost und Zuspruch brauchen. Sie haben mir zugehört, als ich einen Freund brauchte, und haben mich geliebt, als ich schon nicht mehr daran glaubte, dass irgendjemand aus dieser Familie es jemals könnte.“ Alix blickte Jordan an, der sich vorbeugte und ihre Stirn küsste. „Die Tage bei Ihnen bedeuten mir unendlich viel. Ich weiß, dass Sie nicht krank sind und dass es nicht unbedingt nötig ist, für Sie zu beten – ich wollte, dass Sie einfach wissen, wie sehr ich Sie liebe.“
„Oh, Alix.“ Sachte und fast ehrfürchtig hauchte Grandma Turner ihren Namen. „Ja, ich erinnere mich daran, dass du mir von dem Schal erzählt hast. Ich glaube nicht, dass ich jemals so etwas Wertvolles geschenkt bekommen habe. Die Mühe und die Arbeit, die in diesem Schal stecken …
Ich werde ihn bis ans Ende meiner Tage wie meinen Augapfel hüten.“
Alix legte der alten Dame den Schal behutsam, beinahe feierlich um die Schultern, und sie umarmten sich.
Nachdem sie ihren Tee getrunken hatten, mähte Jordan – entgegen aller Einwände seiner Großmutter – den Rasen und beschnitt die Hecke. Währenddessen nahm Alix die Blumenbeete in Angriff, jätete Unkraut und lockerte den Boden auf. Danach wollte sie noch Dekormulch auf die fertigen Beete aufbringen.
„Dieser Garten war einmal der Stolz der gesamten Nachbarschaft“, sagte Grandma Turner, die zu Alix getreten war. „Ich tue noch immer, was ich kann. Aber es reicht einfach nicht.“
„Wir hatten zu Hause nie Blumen, als ich noch ein Kind war.“ Alix bemühte sich, ihre Stimme so sachlich wie möglich klingen zu lassen. Sie erinnerte sich, dass die Blumen nicht das Einzige waren, das gefehlt hatte. Manchmal fehlte ein Fenster und einmal sogar die Eingangstür. Ihre Mutter hatte mit einer Bierflasche nach ihrem Vater geworfen, und er hatte sich gebückt. Die Flasche war durchs Wohnzimmerfenster gekracht. Und als Alix ungefähr sechs war, hatte ihr Vater die Vordertür eingetreten.
Alix hatte die Menschen, die Blumen in ihrem Garten züchteten, immer beneidet. Ihr eigener Garten war eine Katastrophe gewesen. Doch Alix hatte nicht viel Zeit damit vergeudet, sich um Gras und solche Dinge den Kopf zu zerbrechen – viel wichtiger war es damals gewesen, sich außer Reichweite ihrer Eltern zu halten, wenn die beiden wieder einmal getrunken hatten. Das war der Grund gewesen, warum sie in ihrem Kleiderschrank einen Zufluchtsort gefunden und dort ihre eigene Fantasiefamilie erdacht hatte.
„Ich möchte, dass ihr beiden zum Essen bleibt“, sagte Grandma Turner.
„Sehr gern. Ich glaube nicht, dass Jordan irgendwelche anderen Pläne hat. Aber ich werde ihn zur Sicherheit mal fragen.“
Lächelnd nickte Grandma Turner ihr zu und wandte sich zum Gehen.
Jordan, der gerade die Hecke zu Ende gestutzt hatte, trank schnell ein zweites Glas Eistee. Dann kam er zu Alix, um ihr beim Jäten in den Blumenbeeten zu helfen. Sie erzählte ihm von Sarahs Einladung.
„So wie ich meine Großmutter kenne, ist sie längst im Haus und bereitet das Essen vor“, sagte er und kam Alix näher, um ihren verschwitzten Nacken zu küssen.
„Jordan!“
„Würdest du gern bleiben?“, fragte er.
Sie nickte.
Es war schon so lange her, dass sie gemeinsam Zeit verbracht
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