Die Feen - Hallmann, M: Feen
so herzlich unsympathisch, dass ihm davon wenigstens zum ersten Mal richtig warm wurde, seit sie in Inverness aus dem Flieger gestiegen waren.
»In dieser Halle spielte sich früher fast alles ab, was in irgendeiner Weise mit dem Gesinde zu tun hatte oder mit dem Volk aus den umliegenden Dörfern. Gesindespeisungen fanden hier ebenso statt wie die Rechtsprechung, wenn es einen Zwist zu entscheiden gab. Auch wurden hier Waffen an das einfache Volk ausgegeben, wenn es Burg und Land zu verteidigen galt, und Verwundete konnten sich hierher zurückziehen.«
Irgendwelche Gesindespeisungen interessierten Benny ungefähr so sehr wie die Frage, was es morgen zum Frühstück geben würde. In diesem Moment nämlich beschloss er, dass er nicht bleiben würde. Er hatte keinen Schimmer, was er hier sollte. Die Uniformen, der blasierte Affe dort oben auf der Treppe, diese zugige Burg, das ganze schöne, aber fremde Postkartenschottland dort draußen mit seinen Steinhäuschen und Felsen und riesigen grünen Weiten und Schafen … all das ging ihn nichts an. Die Vorstellung hierzubleiben, erschien ihm mit einem Mal so lächerlich, dass er sich nicht gewundert hätte, wenn es nur ein seltsamer Traum gewesen wäre. Aber er wachte nicht auf, und als er den Handlauf des Treppengeländers berührte, war das dunkel gemaserte Holz kühl und glatt und echt unter seinen Fingern. Jawohl, es war offiziell – hier stand er wahr- und leibhaftig mitten in Schottland in einer Burg herum, in einem Elite-Internat, in dem er die nächsten Jahre seines Lebens verbringen sollte. Fast hätte er laut aufgelacht.
»Für uns heute ist die Halle, außer aus historischer Sicht«, dozierte der blasierte Typ weiter, »nur noch zu besonderen Gelegenheiten von Bedeutung. Es ist bis auf die Rote Halle der einzige Raum – von der Bibliothek mal abgesehen, die aber aus mehreren ineinander übergehenden Räumen besteht –, der sämtliche Schüler von Glenshee Castle, Lehrer und Angestellte problemlos gleichzeitig aufnimmt. Gestern Abend hat hier, wie ihr wisst, der Empfang der neuen Schüler stattgefunden.« Kurz huschte etwas Ähnliches wie ein Lächeln über seine Züge, das Benny eindeutig an seine Adresse zu gehen schien, auch wenn er ihn nicht anschaute. »Und eines Tages werden hier eure Abschlussfeierlichkeiten stattfinden, wenn ihr Glenshee Castle erfolgreich verlasst. Die Porträts, die ihr an den Wänden …«
Der Rest ging an Benny vorbei, als hätte er sich Watte in die Ohren gestopft. Er strich über den Handlauf, betrachtete die Waffen und Teppiche an den Wänden, schaute zur meterhohen Decke auf und unterdrückte ein Gähnen. »Wie heißt der Typ eigentlich?«, flüsterte er einem der uniformierten Kleinen zu, als sich Sir Wichtig nach Beendigung seiner Rede umdrehte und die Treppe emporstieg, offensichtlich in dem festen Glauben, man würde ihm andächtig schweigend folgen.
Der uniformierte Kleine warf ihm einen zögerlichen Blick zu. »Alasdair MacGregor«, flüsterte er.
»Und warum tut er so wichtig?«
Statt zu antworten, eilte der Kleine den anderen hinterher. Benny seufzte leise und folgte ihnen. Er in Jeans und Pulli mitten zwischen diesen Kindern in ihren blitzneuen Schuluniformen – das kam ihm vor wie ein Sinnbild dafür, wie fremd und unpassend er sich hier fühlte. Er sah sich auch nicht in der Lage, Sir Alasdair mit der gebührenden Hochachtung zu lauschen. Sehr viel lieber hätte er sich auf seinen Rücken gesetzt und ihm das überhebliche Gesicht in den Dreck draußen vor dem Burgtor gedrückt. Während er den anderen hinterherschlenderte, versuchte er, nur zum Spaß, seine Chancen realistisch abzuschätzen. Vermutlich war es besser, es nicht zu versuchen – Alasdair mochte zwei, drei Jahre älter sein als er, und trotz des schmalen Gesichts und der blasierten Art machte er keinen schwächlichen Eindruck.
In dem zugigen Gang, den sie betraten, lagen die Schlafsäle für die Zweitklässler, insgesamt drei Stück, für jede Klasse einer. Mit den höheren Klassen stieg man auf, wie Alasdair seinen ehrfürchtig lauschenden Zuhörern erläuterte. In den ersten beiden Klassen nächtigte man auf Glenshee Castle im Schlafsaal, dann im Sechsbettzimmer, in der fünften und sechsten Klasse gab es Vierbett, und in der Abschlussklasse teilte man sich mit je einem Mitschüler ein großes Zimmer im Ostflügel, zu dem Schüler der unteren Jahrgangsstufen keinen Zutritt hatten. Überhaupt erwarb man sich mit jedem Schuljahr mehr
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