Die Feuer von Córdoba
herausragte und durch Gestein und Sand führte, bis es schließlich viele Fuß über ihren Köpfen zwischen den Pflastersteinen auf dem kleinen Marktplatz vor San Tomás endete. Dieses Rohr war gerade eben groß genug, dass ein Kind seine Hand hätte hineinstecken können, und selbst wenn man das Gesicht direkt vor die Öffnung hielt, konnte man den Luftzug bestenfalls erahnen. Gelegentlich, wenn das Verhör ins Stocken geraten war, weil der Gefangene das Bewusstsein verloren hatte, stellte Stefano sich vor, was wohl geschehen würde, wenn einer der Bauern aus Versehen einen Sack mit Weizen auf dieses unscheinbare Loch im Boden stellen würde. Und dann verspürte er das beinahe unbezähmbare Verlangen, die Mauern des Kerkers einzureißen, damit Luft und Licht eindringen und ihn vor dem Erstickungstod retten konnten.
Als Stefano das Kellergewölbe betrat, war alles für das Verhör vorbereitet. Die Kerzen auf dem kleinen Altar in der Ecke des Raums brannten, und Pater Giacomo kniete im Gebet versunken davor. In der anderen Ecke des Raums stand der hohe Lehnstuhl, auf dem der Inquisitor das Verhör leiten würde. Daneben befand sich das Schreibpult. Stundenglas, Feder, Tinte sowie mehrere Seiten Pergament lagen bereit. Von einem großen Haken an der Decke hing ein starkes Seil herab. Pedro hatte bereits die schwarze Kutte angezogen und die Kapuze über den Kopf gestreift, die nur schmale Schlitze für die Augen und den Mund freiließ, und Carlos beeilte sich, es ihm gleichzutun, als wollte er die verlorene Zeit wieder aufholen. Jedes Mal, wenn Stefano die beiden in dieser Kleidung sah, erschauerte er. Sie sahen aus wie Gestalten aus einem Albtraum.
Pater Giacomo machte das Kreuzzeichen, küsste nacheinander das schlichte Holzkreuz, die Bibel und zuletzt das Handbuch der Inquisition, die auf dem Altar lagen, und erhob sich. Er ließ seinen Blick prüfend durch den Raum und über die beiden Diener gleiten, die abwartend an der Tür standen, bis er schließlich auf Stefano fiel.
»Stefano!«, sagte er in einem Ton, als hätte er nicht mehr mit seinem Kommen gerechnet. »Du hast heute lange gebraucht, um die Treppe hinabzusteigen. Und wahrlich, du bist bleich wie der leibhaftige Tod. Ist dir nicht wohl?«
Stefano schüttelte den Kopf und versuchte dem forschenden Blick seines Lehrers auszuweichen, doch es war unmöglich, diesen alles durchdringenden Augen zu entgehen. Seine Hände verkrampften sich ineinander, und er war froh, dass sie wieder in den Ärmeln seiner Kutte steckten, sodass Pater Giacomo wenigstens das nicht sehen konnte.
»Es ist nichts, Pater Giacomo«, sagte er, doch seine Stimme hatte eher Ähnlichkeit mit dem Krächzen einer Krähe denn mit seiner eigenen. »Eine kurzzeitige Schwäche, nichts weiter.«
»So?« Pater Giacomo hob nur eine Augenbraue, doch Stefano hatte den Eindruck, dass er bereits jetzt wusste, was oben in der Kirche vor wenigen Augenblicken geschehen war, und vor Scham wäre er am liebsten im Boden versunken. Pater Giacomo hatte die Fähigkeit, in ihn hineinzusehen, als wären sein Kopf und seine Seele aus Glas. Zuweilen war es richtig beängstigend. »Es gibt vielerlei Arten von Schwächen, mein Sohn«, fuhr Pater Giacomo mit einem milden Lächeln fort. »Da ist natürlich vor allem die Schwäche des Körpers, die den wackeren Mönch zuweilen überfällt, wenn er sich dem Fasten und den Kasteiungen gar zu eifrig unterzogen hat. Diese Schwäche lässt sich meist rasch beheben – ein Schluck Wasser, ein Löffel Honig oder ein Bissen Brot genügt. Doch da ist noch die Schwäche des Geistes. Sie ist weitaus schwieriger zu bekämpfen.«
Stefano fühlte, wie ihm das Blut ins Gesicht stieg. Er wollte etwas sagen, doch er brachte keinen Laut hervor.
»Welche Schwäche dich auch getroffen haben mag, Stefano, sei gewiss, dass kein Diener Gottes davor gefeit ist. Zu jeder Zeit versucht der Teufel sich der Diener des Herrn zu bemächtigen, sie durch Einflüsterungen zu verführen. Manchmal nimmt er sogar die Erscheinung eines Engels an, um sein Ziel zu erreichen.«
Stefano begann zu zittern. Pater Giacomo hatte Recht. Er hatte ihn schon früher gewarnt, jetzt sagte er es wieder. Weshalb hatte er nicht gleich daran gedacht, als er oben im Kirchenschiff diese seltsame Stimme gehört hatte? Warum hatte er geglaubt, dass ein Engel zu ihm gesprochen hatte? Weshalb hatte er nicht sofort gemerkt, dass er nur getäuscht und verführt werden sollte? Es fiel dem Teufel so leicht, sich zu
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