Die Feuer von Córdoba
Vergebung sprechen konnte.
»Ich habe doch nichts getan«, stammelte die Angeklagte statt einer Antwort. Ihre Stimme war angsterfüllt, und doch klang sie so schön, dass Stefanos Herz sich zusammenzog. »Ich bin unschuldig, Herr, ich weiß nicht …«
»Das herauszufinden wird unsere Aufgabe sein«, unterbrach sie Pater Giacomo, ohne sich aus der Ruhe bringen zu lassen. Er klang sogar beinahe freundlich. »Wie ist dein Name?«
Stefano wandte den Blick nicht von seinem Pergament ab, doch er konnte die schweren, schnellen Atemzüge der Angeklagten hören.
»Maria Alakhir«, flüsterte sie und brach in Tränen aus.
Stefano blickte kurz auf, um den Gesichtsausdruck der Angeklagten zu sehen. Sie machte wirklich einen zutiefst verzweifelten Eindruck. Er war sicher, dass er ihr bestimmt geglaubt und sie auf der Stelle freigelassen hätte. Dabei wusste er natürlich – Pater Giacomo hatte es ihm schließlich oft genug erklärt –, dass die Angst und die Verzweiflung der Angeklagten oft nur vorgetäuscht waren. Sie waren nur ein Trick, nur eine Irreführung, mit der die Diener der Inquisition getäuscht werden sollten. Genau wie die Stimme im Kirchenschiff. Stefano wandte den Blick wieder von der Angeklagten ab. Er musste versuchen stark zu sein, sich gegen die Einflüsterungen, gegen den vergifteten Keim des Zweifels zu wehren. Sie waren nur Täuschungen.
Er atmete tief ein und fing an zu schreiben. Seine Feder flog geradezu über das Pergament, während er das Aussehen und die Reaktion der Angeklagten beschrieb. Das Verhör hatte begonnen.
II
Erinnerungen
Bereits ungezählte Male hatte Anne Niemeyer im Flugzeug gesessen. Sie arbeitete als Journalistin für ein Frauenmagazin in Hamburg, und der Beruf brachte es mit sich, dass sie oft fliegen musste – zu Modeschauen nach Paris, London, Mailand oder New York, in luxuriöse Feriengebiete auf den Malediven, nach Bali oder in die Karibik. Trotzdem war ihr bisher nicht aufgefallen, wie sehr sie das Motorengeräusch eines Flugzeugs mochte. Natürlich war es nur leise zu hören, gedämpft durch den isolierten und verkleideten Rumpf der Maschine sowie durch die Geräusche in der Kabine – das Summen der Klimaanlage, die Gespräche der anderen Passagiere, Schritte der Crew auf dem Gang –, und dennoch wirkte das gleichmäßige Brummen der Düsen beruhigend auf sie. Es waren vertraute Geräusche wie das Rauschen in den Wasserleitungen ihrer Wohnung, das Rattern und Fauchen der Kaffeemaschine in der Redaktion, die Lüftung ihres Laptops, der Klingelton eines Handys. Sie waren so alltäglich, dass man sie normalerweise kaum wahrnahm. Doch Anne verglich diese banalen, belanglosen Dinge mit ihren Erfahrungen der letzten Zeit: das helle, strahlende Licht der Leseleuchte über ihrem Sitz mit dem flackernden Licht einer Kerze. Den leichten, unaufdringlichen Luftzug der Klimaanlage mit dem mühsamen Wedeln eines Fächers. Oder das Geräusch des Motors mit dem Klang von Pferdehufen und dem Rattern von Wagenrädern, die über holprige Straßen fuhren. Natürlich waren das nur Kleinigkeiten, aber für Anne waren sie wichtig, denn sie waren ein sicheres Indiz, dass sie wieder dort angekommen war, wo sie hingehörte – im Hier und Jetzt, in der Gegenwart. Sie war wieder daheim.
»Haben Sie noch einen Wunsch, Frau Niemeyer?«
Anne sah die Stewardess an und kämpfte mit sich. Am liebsten hätte sie ein Glas Champagner getrunken. Sie liebte seinen Duft und seinen Geschmack, und die Marke, die an Bord ausgeschenkt wurde, war wirklich ausgezeichnet. Aber sie flog nicht zu ihrem Vergnügen und einer ausgedehnten Shoppingtour nach Madrid. Sie würde sich dort mit Cosimo Mecidea treffen, den sie – wenn man es genau nahm – noch nicht einmal seit einer Woche kannte, um ihm ein uraltes Pergament zu überreichen. Ein Pergament, das sie »gestern« in Jerusalem gefunden hatte, von wo sie gerade herkam. Am Samstag Florenz, am Donnerstag Jerusalem, am Freitag Madrid. Das war wohl die seltsamste, verrückteste, ereignisreichste Woche, die sie jemals erlebt hatte. Und sie war noch nicht zu Ende. Anne hatte das sichere Gefühl, dass sie heute noch einen klaren Kopf brauchen würde. Also keinen Champagner. Sie seufzte bedauernd und reichte der Stewardess ihren Becher.
»Bitte noch einen Tomatensaft.«
»Gern.«
Anne würzte den Saft mit Salz, Pfeffer und einem Spritzer Tabasco, trank einen Schluck und stellte den Plastikbecher auf dem Tisch vor sich ab. Nachher, spätestens morgen,
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