Die Feuer von Murano: Ein Venedig-Roman (German Edition)
bemerkbar machten. Mit seinen 50 Druckwerkstätten war Venedig im 16. Jh. die Buchpresse ganz Europas, doch als im Zuge des Konzils von Trient 1559 erstmals ein Index verbotener Bücher veröffentlicht wurde, war die berühmte Toleranz Venedigs in Glaubensfragen, z. B. gegenüber Juden und Protestanten, gefährdet. Immerhin durften Kirchenleute in Venedig keine Staatsämter bekleiden. Schon vor 1548 wurden in Venedig Bücher verbrannt, und die Zeit der Romanhandlung ist vom zunehmenden Einfluss vatikanischer Behörden geprägt. Dem aus Rom gesandten Inquisitor, ab 1560 ein Dominikanerpater, waren jedoch drei venezianische Patrizier zur Seite gestellt, die Savi sopra l’eresia , »Weise zur Kontrolle der Ketzerei«, die sich bemühten, die Urteile zu mildern. Im ganzen 16. Jh. vollstreckten sie in Venedig nur 14 Todesurteile. Freilich schuf sich der Rat der Zehn , eine weltliche Behörde für Staatssicherheit mit sehr weitgehenden polizeilichen Befugnissen, schon 1537 mit den Esecutori contra la bestemmia zur Verfolgung von Verbrechen gegen die Religion und zur Überwachung der Moral im Allgemeinen, ein Organ, um am wachsenden Einfluss der Kirche zu partizipieren. Die drei Esecutori, Mitglieder des Rats der Zehn, durften dessen Prozessrecht anwenden, d. h. Ermittlung, Prozess und Verurteilung waren geheim. Zwei Jahre später erweiterte der Rat der Zehn seine Macht abermals durch die Einsetzung der drei Inquisitori di Stato , »Staatsinquisitoren über die Weitergabe von Staatsgeheimnissen«, wie ihr Titel lautete. Im Volk hieß diese Geheimpolizei, die foltern, töten und Spitzel aus schwarzen Kassen bezahlen durfte, »die drei Schreckgespenster«. Ähnliche Aufgaben wie die Staatsinquisitoren hatten die drei Capi dei Dieci , die drei Oberhäupter des Rats der Zehn, ab 1539 eine eigene Behörde. Beide erhielten im Laufe des 16. Jh. immer mehr exekutive Macht.
Eine komplizierte Oligarchie
Die Tendenz des Rats der Zehn, in die praktische Politik einzugreifen, gehört zum historischen Hintergrund, vor dem dasRomangeschehen spielt. Sie zerstörte das seit dem Mittelalter über Jahrhunderte immer feiner austarierte Kräftegleichgewicht zwischen gesetzgebender, richterlicher und ausübender Gewalt. Wesentliches Merkmal dieses Gleichgewichts war die Ämterrotation durch die höchstens ein Jahr währende Bestellung in alle Staatsämter. Je wichtiger ein Amt, desto kürzer die Amtszeit. Ämter auf Lebenszeit hatten keine Befugnisse oder wurden stark kontrolliert. Demokratisch war Venedigs Verfassung allerdings nicht, denn der größte Teil der Bevölkerung blieb grundsätzlich von der Macht ausgeschlossen. Ein fester Kreis aus zwei Dutzend alten Adelshäusern und etwa 40 Patrizierfamilien regierte die Republik oligarchisch, hinzu kamen reiche Kaufleute. Sie alle bildeten den Souverän, den Großen Rat. Diesem obersten Organ der Republik gehörten nach den 1296 erstmals festgelegten Kriterien für die Mitgliedschaft alle über 25jährigen Männer aus den adeligen Familien Venedigs an. 1527 zählte der Große Rat 2746 Mitglieder, das war der Höchststand. Der Große Rat setzte alle Behörden der venezianischen Verwaltung ein und bestimmte ihre Befugnisse. Er war das oberste Gesetzgebungsorgan und wählte über eine Vielzahl von Kommissionen und Kollegien jedes Staatsamt. Außerdem entschied der Große Rat über Krieg und Frieden. Ab dem 14. Jh. verschob sich die tatsächliche Macht jedoch zugunsten des Senats und des Rates der Zehn.
»Dem Dogen die Ehre, der Kommune die Macht.« Dieser Satz galt vom 12. Jh. bis zum Ende der Republik für die Beziehung zwischen dem rein repräsentativen, mit byzantinischem Prunk dekorierten Oberhaupt Venedigs und der Verwaltung. Petrarca nannte den Dogen einen »Sklaven der Republik«. Der Doge wurde durch Wahlmänner gewählt, die verschiedenen Familien angehören mussten. Ein kompliziertes Verfahren bestimmte die Wahlmänner. Auf dem Markusplatz zog ein Knabe ( ballottino ) Kugeln ( ballotte ) für einen ersten von fünf Wahlgängen, die mit der Wahl von 41 Wahlmännern abschlossen. Der Doge wurde auf Lebenszeit gewählt – weshalb die meisten Dogen bei ihrerWahl schon im Greisenalter waren. Er durfte die Wahl nicht ablehnen und nicht abdanken, konnte jedoch jederzeit abgesetzt werden. Ohne Zustimmung seiner Berater, der Consiglieri, durfte er keine Entscheidungen treffen. Die sechs Dogenberater, auch Savi grandi genannt, um sie von den zahlreichen anderen Savi (Weisen) mit
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