Die Feuer von Troia
Erzähl weiter.«
Als Hekabe sprach, klang ihre Stimme immer noch unsicher. »Hermes oder welcher Gott es auch immer gewesen sein mag, beugte sich über die Wiege und nahm das Kind hoch…« Hekabe war bleich, Schweißperlen standen ihr auf der Stirn, aber sie versuchte, ihrer Stimme Festigkeit zu geben, »aber es war kein Neugeborenes, sondern ein größeres Kind - ein nacktes, brennendes Kind - ich meine, es stand in Flammen und brannte wie eine Fackel. Das Kind bewegte sich, und Feuer breitete sich im Palast aus. Es brannte überall, und die Flammen griffen auf die Stadt über … « Schluchzend sank sie zusammen. »0, was kann das nur bedeuten?«
»Das wissen nur die Götter«, sagte Priamos und drückte ihr die Hand.
Hekabe stammelte. »Im Traum rannte das Kind vor dem Gott her… ein brennendes Kind, das durch den Palast rannte. Hinter ihm fing ein Raum nach dem anderen Feuer. Dann rannte es hinunter und durch die Stadt. Ich stand auf dem Balkon, und hinter ihm begannen überall die Flammen zu züngeln, während es brennend immer weiter lief, bis ganz Troia brannte. Schließlich stand Troia von der Zitadelle bis zum Meer in Flammen. Und selbst das Meer flammte unter seinen Schritten auf… «
»Bei Poseidon«, murmelte Priamos leise, »welch ein schlechtes Omen… für Troia und für uns alle!«
Schweigend streichelte er ihre Hand, bis ein leises Geräusch vor der Tür die Priesterin ankündigte.
Sie trat ein und sagte ruhig und fröhlich: »Frieden sei mit allen in diesem Haus. Freut euch, o Herr und Herrin von Troia. Ich bin Sarmato. Ich bringe euch den Segen der Heiligen Mutter. Welchen Dienst kann ich der Königin erweisen?« Sie war eine große, kräftige Frau, vermutlich immer noch im gebärfähigen Alter, obwohl sich in ihren dunklen Haaren bereits graue Strähnen zeigten. Lächelnd sagte sie zu Hekabe: »Ich sehe, die Große Göttin hat dich bereits gesegnet, Königin. Bist du krank oder hast du Wehen?«
»Keines von beiden«, sagte Hekabe, »hat man es dir nicht gesagt, Priesterin? Ein Gott hat mir einen schlimmen Traum geschickt.«
»Erzähl ihn mir«, sagte Sarmato, »und sei ohne Furcht. Die Götter meinen es gut mit uns, dessen bin ich sicher. Deshalb rede und fürchte dich nicht.«
Hekabe erzählte den Traum noch einmal. Jetzt, nachdem sie völlig wach war, kam er ihr allmählich weniger schrecklich und eher verrückt vor. Trotzdem zitterte sie in Erinnerung an das Entsetzen, das sie im Traum empfunden hatte.
Die Priesterin runzelte leicht die Stirn. Als Hekabe mit ihrer Erzählung zu Ende war, fragte sie: »Bist du sicher, daß es nicht noch etwas gab?«
»Nichts, woran ich mich erinnern könnte, Herrin.«
Die Priesterin runzelte wieder die Stirn und holte aus einem Lederbeutel an ihrem Gürtel ein paar Kieselsteine hervor. Sie kniete sich auf den Fußboden und warf sie wie Würfel; dann betrachtete sie aufmerksam und murmelnd, wie sie gefallen waren, warf sie noch einmal und noch ein drittes Mal, sammelte sie schließlich wieder ein und legte sie in den Lederbeutel zurück.
Dann blickte sie zu Hekabe auf.
»So spricht der Bote der Götter des Olymp zu dir: Du trägst einen Sohn, auf dem ein böses Schicksal lastet. Er wird Troia zerstören. « Hekabe hielt bestürzt den Atem an. Sie spürte, wie sich die starken, warmen und begütigenden Finger von Priamos um ihre schlossen.
»Läßt sich etwas tun, um dieses Schicksal abzuwenden?« fragte Priamos.
Die Priesterin erwiderte achselzuckend: »Bei dem Versuch, das Schicksal abzuwenden, ziehen die Menschen es oft auf sich. Die Götter haben dir eine Warnung geschickt. Aber sie haben nicht beschlossen, dir zu sagen, was du tun mußt, um das Unheil abzuwenden. Vielleicht ist es am sichersten, nichts zu tun.«
Priamos sagte finster: »Dann muß das Kind sofort nach der Geburt ausgesetzt werden.«
Hekabe rief entsetzt: »Nein! Nein! Es war nur ein Traum, ein Traum …«
»Eine Warnung von Hermes«, sagte Priamos streng. »Setze den Jungen aus, sobald er geboren ist. Hast du mich verstanden?!« Er fügte die unabänderliche Formel hinzu, die den Worten die Kraft von Gesetzen gaben, die in Stein gehauen wurden: »Ich habe gesprochen. So soll es geschehen!«
Hekabe sank weinend in die Kissen, und Priamos sagte liebevoll: »Nicht um ganz Troia hätte ich dir diesen Kummer bereitet, meine Liebste. Aber mit den Göttern ist nicht zu spaßen. «
»Götter!« rief Hekabe außer sich. »Was für ein Gott ist das, der trügerische
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