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Die Flamme von Pharos

Die Flamme von Pharos

Titel: Die Flamme von Pharos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Peinkofer
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einsteigen. Der Kapitän jedoch hielt sie zurück.
    »Lady Kincaid?«
    »Ja?«
    »Was ist mit Ihrem Vater? Haben Sie ihn …?«
    Sarahs Blick verriet unendliche Trauer. »Nein, Monsieur Hulot«, sagte sie leise.
    Über die schmale Leiter kletterte sie in das Submarin und begab sich, Hulots Empfehlung gemäß, in die Messe, wo in Windeseile ein behelfsmäßiges Lazarett eingerichtet worden war. Der Kapitän und seine Leute schienen einige Routine darin zu haben, Verwundete an Bord zu versorgen.
    Ein junger Matrose, dessen Namen Sarah nicht kannte, kümmerte sich um ihre Schulterwunde. Das Reinigen mit Alkohol verursachte solch brennende Schmerzen, dass Sarah darüber fast das Bewusstsein verlor. Nur noch am Rande nahm sie wahr, wie der Matrose ihr den Verband anlegte und ihr Wasser zu trinken gab. Dann sank sie auf ihr Lager und schlief ein.
    Sie bekam nicht mehr mit, wie die ›Astarte‹ im Schutz der hereinbrechenden Dämmerung auslief, wie sie dem Verlauf des Kanals folgte und, indem sie unter der Pont d’Ecluses hindurchtauchte, den Inneren Hafen erreichte. Weder sah sie die im grünen Zwielicht glühenden Bruchstücke antiker Säulen, die von Schlinggewächsen überwuchert den Meeresboden übersäten, noch die trutzigen Rümpfe der siegreichen britischen Kriegsschiffe, die in den Hafen eingelaufen waren und als drohende Schatten über ihnen schwebten.

10
    P ERSÖNLICHES T AGEBUCH
S ARAH K INCAID
    Die Expedition ist zu Ende. Mit nichts als dem nackten Leben haben wir Alexandria verlassen und befinden uns auf dem Weg nach Europa.
    Während meine Verletzung rasch verheilt und mir kaum noch Schmerzen bereitet, leidet meine geschundene Seele Qualen. Noch immer stehe ich unter dem Schock der Ereignisse und kann kaum glauben, was in Alexandria geschehen ist. Die Welt scheint mir fremd geworden zu sein. Vieles, das mir gestern noch selbstverständlich schien, sehe ich heute in einem anderen Licht. Ich bin nicht mehr die, die England vor wenigen Wochen verließ, nicht mehr das naive junge Ding, das sich nach exotischen Abenteuern sehnte und an kein Schicksal glauben wollte.
    Habe ich tatsächlich gedacht, verhindern zu können, was in Wahrheit unvermeidlich war? Warum nur habe ich dem Wunsch meines Vaters nicht entsprochen? Warum bin ich nicht nach England zurückgekehrt, als er mich darum bat? Womöglich, klagt mich eine innere Stimme immerzu an, habe ich seine Feinde erst zu ihm geführt. Hatte ich überhaupt eine Chance, ihn zu retten?
    Ich weiß, dass ich auf diese Fragen nie eine Antwort erhalten werde, ebenso wie mir klar geworden ist, was für eine selbstsüchtige Närrin ich gewesen bin. Mein Vater hat seinen letzten Atem dazu genutzt, mich um Vergebung zu bitten, dabei hätte es eigentlich umgekehrt sein müssen. Ich bedaure jeden Vorwurf, den ich ihm gegenüber geäußert habe, und wünschte mir, ihm noch einmal zu begegnen und ihm sagen zu können, wie ich empfinde. Aber natürlich wird dies nicht geschehen.
    Ich habe Fehler begangen – und dies ist die Strafe dafür.
    Die Gegenseite hat gewonnen, wer immer es in Wahrheit auch sein mag. Hatte Charon tatsächlich Auftraggeber, die das Wissen der Vergangenheit zu vernichten trachten? Oder war er nur ein Einzelgänger, der durch Zufall einem alten Geheimnis auf die Spur kam und in seinem Wahn gefangen war? Ich neige dazu, Letzteres zu vermuten, zumal Onkel Mortimer der Ansicht ist, dass es sich bei dem Einauge um eine Skurrilität handelte, um eine Laune der Natur, wie es sie auf Jahrmärkten zu begaffen gibt, und dass es keinesfalls mehr von Charons Art gebe. Endgültigen Aufschluss werden wir darüber wohl nie erhalten, denn der Mörder ist tot, und ich will nicht verhehlen, dass ich geheime Genugtuung darüber empfinde …
    S ÜDÖSTLICHES M ITTELMEER
14. J ULI 1882
    Sarah setzte die Feder ab und überlegte, was sie ihrem Eintrag noch hinzufügen sollte, als es an das Schott ihrer Kabine klopfte.
    »Ja?«, fragte sie.
    »Hingis«, lautete die Antwort.
    Sarah schloss das Tagebuch und legte es zurück in den Spind. Dann trat sie an die Tür, um zu öffnen.
    Friedrich Hingis bot einen Mitleid erregenden Anblick. Den verstümmelten Arm trug er in einer Schlinge, seine Gesichtszüge hatten seit ihrer Abreise kaum an Farbe gewonnen, und seine Brille hatte im Zuge der Ereignisse einen Sprung davongetragen. In der Schiffsapotheke der ›Astarte‹ hatte sich ein Opiat befunden, das Dr. Laydon ihm verabreicht hatte, sodass er zumindest keine Schmerzen mehr litt.

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