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Die Flüchtende

Die Flüchtende

Titel: Die Flüchtende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Alvtegen
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Augen.
    Das Schweigen war gebrochen.
    «Ich muss zugeben, dass ich erstaunt war, als du auf dem Friedhof aufgetaucht bist. Wie ein Geschenk des Himmels. Gott beschützt die Seinen wirklich.»
    Sie starrte ihn an.
    «Ich habe nicht geglaubt, dass es wahr sein kann, als ich die Uhr zu sehen bekam. Wäre die nicht gewesen, dann hätte ich dich nicht erkannt.»
    Er nickte in Richtung ihrer Armbanduhr und Sibylla folgte seinem Blick. Er lächelte, legte den Kopf zurück und schloss die Augen.
    «Danke, Herr, daß Du mir Dein Ohr geneigt hast, dass Du meine Seele erlöst und sie hierher geführt hast. Danke, dass ...»
    «Die Uhr?», fiel sie ihm ins Wort.
    Er verstummte. Als er die Augen öffnete, waren sie schmal wie Schlitze.
    «Unterbrich mich nie wieder, wenn ich mit dem Herrn spreche», sagte er langsam.
    Er beugte sich über den Tisch, um seinen Worten Nachdruck zu verleihen.
    Plötzlich rückte sich alles zurecht.
    Wehe dem, der den Unschuldigen seines Rechtes beraubt.
    Die Wahrheit drang wie eine Speerspitze in sie.
    Sie konnte nicht sprechen. Vor Schreck spürte sie einen Blutgeschmack im Mund.
    Wonach man aussah, darauf kam es an.
    Wie hatte sie das bloß eine Sekunde lang vergessen können! Ihre eigenen Vorurteile hatten sie direkt in die Falle gelockt.
    Ihm war klar, dass sie es wusste, das konnte sie ihm ansehen.
    «Ich habe diese Uhr schon einmal gesehen, verstehst du. Im Französischen Saal des Grand Hotel. Als du Jörgen Grundberg bei seiner letzten Mahlzeit Gesellschaft geleistet hast.»
    Gespannt wie zwei Bogensehnen saßen sie nach wie vor auf ihren Küchenstühlen und bewachten einander. Beide warteten auf das auslösende Moment.
    Eine Ewigkeit verging und Sibylla versuchte ihr Bestes, damit sich die Wahrheit zu einer fassbaren Kette fügte.
    Sie hatte so Recht gehabt.
    Und sich doch so geirrt. Rune Hedlund hatte keine Geliebte gehabt, sondern etwas noch Heimlicheres:
    Einen Geliebten.
    Es waren diese sehnigen Hände, die zwischen ihnen auf dem Küchentisch ruhten, die all diese Widerwärtigkeiten, deren sie bezichtigt wurde, vollbracht hatten. Mit alter, alltäglicher Hobbyfarbe befleckt waren sie in Plastikhandschuhen verborgen in die Körper der Opfer eingedrungen, um zurückzuholen, was sie verloren hatten.
    «Warum?», flüsterte sie schließlich.
    Ihre Frage bewirkte, dass er sich entspannte. Sie führte sie in eine neue Phase. Sie brauchten sich nun nicht mehr zu verstellen. Die Andeutungen waren alle gemacht, und das Einzige, was noch ausstand, war die abschließende Konfrontation. Wenn sie es wissen wollte und er erzählen würde.
    Und dann ...?
    Er zog seine Hände zurück und legte sie in den Schoß, machte fast den Eindruck, als ob er sich darauf vorbereiten würde, eine Rede zu halten.
    «Warst du schon mal auf Malta?»
    Seine Frage kam so unerwartet, dass ihr ein Schnauben entfuhr. Womöglich hielt er es für ein Lachen, denn jetzt lächelte er wieder.
    «Ich bin dort gewesen», fuhr er fort. «Ungefähr ein halbes Jahr nach Runes Unfall.»
    Er sah auf seine Hände und lächelte nun nicht mehr.
    «Niemand ahnte, wie sehr ich trauerte ...»
    Er holte tief Luft, bevor er fortfuhr.
    «Unsere Liebe wurde mit Rune zu Grabe getragen. Aber Kerstin tat ja allen wahrlich Leid. Sie haben ihr Essen gebracht und geheuchelt und stundenlang dagesessen und sich ihr blödes Geschwätz angehört, wie ungerecht doch alles sei. Mehrmals wollte ich hingehen und ihr in ihr hässliches, wabbliges Gesicht schleudern, dass ich es war, den er geliebt hatte! Nicht sie. Er war bei mir gewesen, bevor er mit dem Elch zusammenprallte. Er war direkt aus meinem Bett gekommen. Es waren meine Hände gewesen, die seinen Körper zuletzt liebkost hatten.»
    Er reckte seine langen Finger in die Luft, damit sie es auch wirklich kapierte.
    Er war jetzt aufgewühlt. Seine Hände zitterten und er atmete heftig, und einen Moment lang schien es, als wollte er anfangen zu weinen. Seine Unterlippe bebte vor verhaltenem Zorn. Womöglich war dies das erste Mal, dass er seiner Trauer Ausdruck verleihen durfte. Dreizehn Monate lang hatten ihm die Worte auf der Zunge gepocht.
    Das erste Mal.
    Und vermutlich das letzte Mal.
    « Dann ging sie wieder zur Arbeit. Saß wie eine Königin im Frühstücksraum und brüstete sich damit, dafür gesorgt zu haben, dass Runes Tod nicht umsonst gewesen sei. Dass mit Hilfe seines Körpers vier Menschenleben gerettet worden seien.»
    Er schüttelte angewidert den Kopf.
    «Pfui Teufel! Mir war speiübel.

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