Die Flüchtende
er fort zu erklären:
«Deshalb bin ich heute hergekommen, weil ich versuchen wollte, Ordnung in meine Gedanken zu bringen. Ich weiß nämlich nicht, was ich tun soll, um ihr zu helfen. Denn ich glaube, ich bin es Rune schuldig, es zu versuchen.»
Für Sibylla passte das alles nicht zusammen. Wenn es keine Geliebte gab, dann ...
Der Gedanke nahm Gestalt an.
«Inwiefern ist sie nicht mehr dieselbe?»
Er sah zu Boden, noch immer betreten.
«Sie war ein paar Monate lang krankgeschrieben. Sie arbeitet als Krankenschwester im Krankenhaus unten, aber ... Ja, sie fanden, dass sie sich merkwürdig verhalte. Aber seit sie zu arbeiten aufgehört hat, ist es nur noch schlimmer geworden.»
Sibylla erinnerte sich an die weißen Sachen, die Kerstin Hedlund bei ihrem ersten Zusammenstoß unterm Mantel getragen hatte.
«Sie trägt doch noch immer ihre Arbeitskleidung.»
Er nickte traurig. «Ja. Ich weiß.»
Ihre erste Eingebung war also doch richtig gewesen. Sie war es. Die Frau mit dem Hass im Blick. Durch ihre Arbeit in der Krankenpflege hatte sie Zugang zu den Namen der Opfer bekommen, und sie war ganz einfach hingefahren und hatte sich zurückgeholt, was sie als das Ihre erachtete.
Und dass Sibylla Forsenströms Leben dabei zertrümmert wurde, war offensichtlich bedeutungslos. Oder gar ein anspornender Umstand. Etwas, was man ausnutzen konnte.
Sie schloss die Augen.
Das Verlangen, dieser Frau richtig wehzutun, machte sich in ihrem Inneren breit. So viel Angst, so viel Unruhe. Aber vor allem der Verlust des Geldes. Ihrer Zukunft.
Sie kehrte um und ging zum Friedhofstor zurück.
«Wo wollen Sie denn hin?», rief er ihr nach.
Sibylla antwortete nicht, und als sie durchs Tor getreten war, sah sie, dass der Friedhof leer war. Kerstin Hedlund hatte einen anderen Ausgang benutzt.
Sie blieb eine Weile still stehen, bevor sie kehrtmachte und zurückging.
«Wo wohnt sie?»
Er wirkte irgendwie unruhig.
«Wieso?»
«Ich möchte mich ein bisschen mit ihr unterhalten.»
Er zögerte.
«Halten Sie das wirklich für so klug?»
Sie schnaubte.
So klug? Als ob sie, Sibylla Forsenström, die Regeln festgelegt hätte!
Womöglich schien ihre Entschlossenheit durch, denn er versuchte sie nicht mehr zurückzuhalten. Stattdessen seufzte er, als ob er wünschte, in die ganze Angelegenheit erst gar nicht verwickelt worden zu sein.
«Ich kann Sie hinfahren», sagte er schließlich. «Es ist ein ganzes Stück zu Fuß.»
Den Rucksack ließ sie liegen. Sie hatte nur einen einzigen Gedanken, nämlich den, heimzahlen zu können. Bestrafen. Ingmar sagte nichts.
Schweigend lenkte er den alten Volvo durch den Stadtkern von Vimmerby, an einem Wohngebiet mit Mietshäusern und einigen Eigenheimen vorbei und ließ schließlich die Bebauung hinter sich.
Auf beiden Seiten Wald.
Sibylla sah ihn gar nicht.
Wehe dem, der den Unschuldigen seines Rechtes beraubt.
Diese Worte hallten wie ein Omen in ihr wider.
Sie merkte nicht, dass sie angehalten hatten.
«Sie scheint noch nicht zu Hause zu sein. Das Auto ist nicht da.»
Seine Stimme rüttelte sie auf und holte sie auf den Beifahrersitz des Volvos zurück. Sie sah aus dem Fenster. Ein gelbes Holzhaus mit heruntergelassenen Jalousetten.
«Ich kann warten.»
Sie machte Anstalten, die Tür zu öffnen.
«Es regnet», stellte er fest.
Tatsächlich. Die Frontscheibe war von rinnendem Wasser geädert.
«Ich wohne da drüben. Wollen Sie nicht eine Tasse Kaffee haben, während Sie warten?»
Kaffee. Nichts interessierte sie im Moment weniger. Doch es war dumm, Gratisverpflegung abzulehnen. Die Würstchen waren in einem Hohlraum gelandet, in dem noch reichlich Platz war.
Sie nickte und er legte den Gang ein.
Noch bevor er in den zweiten schalten musste, fuhr er schräg gegenüber von Kerstin Hedlunds Haus zwischen den Torpfosten vor einem grün verputzten Haus hindurch.
Sie waren also auch Nachbarn.
Sibylla stieg aus.
Es regnete noch immer. Ingmar ging voraus und sie eilten den Kiesweg zum Haus hinauf. Auf der Treppe drehte sie sich um, um zu sehen, ob Kerstin Hedlunds Auto sich vielleicht näherte, aber die Straße war leer.
«Sie hören, wenn sie kommt», versicherte er. «Hier draußen wohnen nur wir.»
Sie trat in die Diele. Der Geruch nach Lösungsmitteln schlug ihr entgegen.
«O je, ich habe wohl vergessen, die Terpentindose rauszutun.»
Er entschwand ihrem Blick und kam gleich darauf mit einem Glas in der Hand zurück, in dem Pinsel zum Einweichen steckten.
« Der Geruch ist
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