Die Flüchtende
ich glaube, ich warte draußen.»
Er sagte nichts darauf, sondern lächelte nur weiter. Einen kurzen Augenblick durchfuhr es sie, dass er vielleicht nicht ganz dicht sei. Sein Lächeln sah so dämlich aus, dass sie schon fast ungemütlich werden wollte. So als ob er an eine lustige Geschichte dächte, von der er nichts erzählt hatte.
Sie ging in die Diele und zog sich ihre Schuhe an. Als sie sich aufrichtete, stand er in der Tür. Sein Lächeln war noch breiter geworden.
«Sie wollen doch nicht schon gehen?»
Das klang fast wie ein Befehl. Damit versetzte er ihrem guten Benehmen endgültig den Todesstoß.
«Doch, das will ich. Ich trinke keinen Kaffee ohne Milch.»
«Ach, was. Ich hätte nicht gedacht, dass du so wählerisch bist.»
Er hatte zugebissen wie eine Schlange. Ohne Zögern. Als ob er seine Worte endlich nicht mehr abzuwägen brauchte.
Ein erstes Gran Unbehagen flackerte in ihr auf. Sie ergriff ihre Jacke.
«Was meinen Sie damit?», fragte sie schließlich. Ganz und gar nicht mit derselben Sicherheit, die sie soeben noch empfunden hatte.
Er hatte die Veränderung in ihrem Tonfall bemerkt, denn wieder breitete sich dieses Lächeln über sein Gesicht.
«Ich meine nur, dass solche wie du mit dem, was sie kriegen, zufrieden sein sollten.»
Sie tat ihr Bestes, um es zu verbergen, aber sie hatte jetzt Angst. Sehr kräftig schien er nicht zu sein, doch da verschätzte sie sich nicht zum ersten Mal. Waren die Kerle erst ausreichend spitz, hatte sie selten eine Chance. Aber sie wollte sich auf gar keinen Fall freiwillig ergeben.
«Wo, zum Geier, sind wir hier eigentlich?», fragte sie plötzlich. «Eine Ritualmörderin und ein Vergewaltiger auf nur hundert Meter Abstand. Seid ihr sicher, dass mit eurem Trinkwasser alles in Ordnung ist?»
Sie schielte nach der Haustür. Der Schlüssel war abgezogen.
«Die ist auch abgeschlossen», sagte er. «Aber eins muss ich jetzt doch ein bisschen zurechtrücken. Wenn ich zu irgendetwas wirklich keine Lust habe, dann dazu, mit dir ins Bett zu gehen.»
Das überzeugte sie nicht im Geringsten. Sie trat noch einen Schritt weiter von ihm zurück und stieß mit dem Rücken an die Treppe zum Obergeschoss.
« Dafür haben wir einige andere Dinge zu entwirren, du und ich.»
Sie schluckte.
«Das glaube ich nicht.»
Er lächelte wieder.
«Doch, Sibylla. Und ob wir das haben.»
Zuerst brachte sie kein Wort heraus. Das Einzige, was sie verstand, war, dass nichts so war, wie es sein sollte. «Woher wissen Sie, wie ich heiße?»
«Das habe ich in der Zeitung gelesen.»
Er konnte sie unmöglich erkannt haben. Nicht mit der neuen Frisur.
Draußen auf der Straße kam ein Auto heran. An ihm vorbei sah sie durchs Küchenfenster, dass es vorüberfuhr.
« Du brauchst nicht länger nach Kerstin Ausschau halten. Sie wohnt am anderen Ende der Stadt. Das Haus da drüben gehört ein paar Deutschen, und die kommen nie vor Juni.»
Sie wollte raus. Raus und weg.
«Was wollen Sie von mir?», fragte sie.
Er antwortete nicht.
«Können wir uns nicht setzen? Der Kaffee wird kalt.»
Sie sah wieder zur Tür. Die Diele hatte kein Fenster.
«Es hat keinen Zweck, Sibylla. Du gehst erst, wenn ich es dir erlaube.»
Eingesperrt.
Sie schloss die Augen für ein paar Sekunden und versuchte sich zu sammeln. Er bewegte sich von der Tür weg, und weil sie keine andere Wahl hatte, ging sie einen Schritt in die Küche.
«Ich wäre dankbar, wenn du die Schuhe ausziehen würdest.»
Sie drehte sich um und sah ihn an.
Leck mich!
Sie ging weiter zum Tisch und setzte sich. Als sie zu ihm hochsah, war nicht zu verkennen, dass er verärgert war. Er öffnete einen Schrank, holte einen Handbesen und eine Schaufel daraus hervor und kehrte irgendeinen unsichtbaren Dreck vom Boden auf. Nachdem er die Gerätschaften zurückgestellt hatte, setzte er sich ihr gegenüber.
Sein Lächeln war verschwunden.
«Von nun an, denke ich, wirst du tun, was ich sage.»
Von nun an? Was war das hier eigentlich? Warum, zum Kuckuck, konnte er nicht sagen, was er wollte?
«Sie haben kein Recht, mich dazu zu zwingen, hierzubleiben», sagte sie leise.
Er tat so, als wäre er erstaunt.
«Nein? Nein, so was. Dann willst du vielleicht die Polizei anrufen? »
Als sie nicht antwortete, lachte er und sie dachte, dass es jetzt vielleicht an der Zeit wäre, genau das zu tun. Die Polizei anzurufen.
Sie sahen sich an. Jeder Atemzug wurde registriert. Wieder fuhr ein Auto vorbei, und Sibylla ließ ihn für eine Sekunde aus den
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