Die Flüchtende
uns auch hier in der Rezeption fragen. Wir haben die Abfahrtszeiten alle hier.»
Sie lehnte sich leicht über die Theke.
»Um die Wahrheit zu sagen, ich habe die Gelegenheit genutzt, eine zu rauchen, verraten sie aber nichts.»
Er nickte wohlwollend, um zu versichern, dass sich ihr Geheimnis in guten Händen befinde. Der Gast hat immer Recht.
Das war gut.
Der Schlüsselhaken für Zimmer 213 war leer, aber 214 hing an seinem Platz. Sie sah auf die Uhr.
«Würden Sie bitte Zimmer zweihundertvierzehn für mich anrufen?»
«Aber gewiss.»
Er reichte ihr den Hörer und tippte eine Nummer ein.
«Danke.»
Am anderen Ende läutete es. Es nahm niemand ab. Der Mann mit Namen Henrik drehte sich um und sah auf die Schlüsselhaken.
«Der Schlüssel hängt hier. Vielleicht ist der Gast schon im Frühstücksraum?»
Er nickte zu einem Flur hin.
«Ja, es ist eigentlich nicht seine Art, Erster zu sein. Aber irgendwann muss es wohl ein erstes Mal geben?... Danke. Haben Sie eine Morgenzeitung?»
Sie bekam eine Dagens Nyheter und ging den Flur entlang, der offensichtlich zum Frühstücksraum führte.
Er war nicht schwer zu finden.
Eine halbe Stunde später lehnte sie sich, satt und recht zufrieden, auf ihrem Stuhl zurück. In dem Raum saßen noch vier weitere Gäste, jeder war an seinem Tisch in eine Morgenzeitung vertieft. In Dagens Nyheter fand sich in einer linken Spalte lediglich die Notiz, dass die Polizei Informationen über die Frau suche, die die Absperrungen im Grand Hotel umgangen habe.
Sie ging zu dem reichhaltigen Frühstücksbüfett, um sich nochmals Kaffee zu holen, und sie konnte dabei unbemerkt ein paar Brötchen und drei Bananen in ihre Handtasche gleiten lassen. Sie setzte sich wieder.
Okay. Was machte sie eigentlich in Eskilstuna? Was, hatte sie geglaubt, würde dieser Ausflug bringen? Und was hatte er ihr, abgesehen davon, dass sie von Jörgen Grundbergs Witwe beleidigt worden war, tatsächlich gebracht?
Sie trank einen Schluck Kaffee und sah aus dem Fenster. Eigentlich wusste sie sehr gut, was sie hier machte. Sie hatte geglaubt, eine Erklärung für die ganze Geschichte zu finden, in die sie da hineingezogen worden war, wenn sie ein paar Informationen aus erster Hand erhielte, wenn sie jemanden treffen könnte,der oder die Jörgen Grundberg gekannt hatte. Das Missverständnis würde aus der Welt geschafft. Und sie könnte die ganze Sache hinter sich lassen.
Stattdessen war es gerade umgekehrt. Alle hatten sich in den Kopf gesetzt, dass wirklich sie den Kerl umgebracht habe. Das war das Einzige, was ihr ihre Fahrt hierher bewiesen hatte. Was sollte sie jetzt also tun?
Es wäre nicht weiter schwierig, sich zu entziehen. Das war ihr jetzt schon fast fünfzehn Jahre lang geglückt. Niemand würde sie auf diesem Bild in der Zeitung erkennen und eine neuere Aufnahme gab es nicht. Ihr Name war natürlich ein Problem, wie üblich. Es gab Leute, die wussten, wo sie sich normalerweise aufhielt, aber diese Menschen waren selten gut Freund mit der Polizei.
Wenn sie gewisse Plätze eine Zeit lang miede, bis sie den richtigen Mörder festgenommen hätten, dann würde sich schon alles einrenken.
Und alles würde wieder werden wie vorher.
Nie im Leben hätte sie sich in ihrer wildesten Phantasie ausmalen können, dass ausgerechnet das einmal ein Ziel sein könnte.
Sie nahm einen Schluck Kaffee und begriff, was sie eigentlich so ungeheuer störte.
Die Demütigung.
Sie wollte sich nie mehr derart behandeln lassen.
Nichts mehr einstecken.
Sie konnte ihre Mutter vor sich sehen. Rasend darüber, dass sie wieder einmal den guten Familiennamen entehrt hatte. Wie konnte sie ihnen das antun?
Und zugleich dieser ererbte Ausdruck in den Augen: Habe ich es nicht gesagt?
Und das Getratsche, das ganz Hultaryd durchsickerte.
Forsenströms Tochter. Habt ihr gehört, dass sie eine Mörderin ist?
Und ihr Vater ... Nein. Sie konnte sich einfach nicht vorstellen, was er empfand. Das hatte sie nie gekonnt.
Und jetzt interessierte sie es nicht mehr.
Sie stand auf und ging zur Rezeption zurück. Der Mann mit Namen Henrik telefonierte gerade, und sie gab ihm zu verstehen, dass sie wieder hinausgehen und heimlich rauchen werde.
Er winkte, als sie ging.
Es war keine Schwierigkeit, den Rucksack auszulösen. Die Gepäckaufbewahrungstheke war nicht besetzt, und sie trat einfach dahinter und holte ihn heraus.
Niemand sah sie.
Sie ging noch einmal zur Damentoilette und zog sich wieder Jeans und Pullover an. Es wäre dumm,
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