Die Fluesse von London - Roman
einen netten Abend machen wollen. Sein langes blondes Haar klebte ihm schweißnass an der Stirn.
»Ich habe der Polizei doch schon erzählt, was passiert ist, aber sie haben es nicht geglaubt. Das glaubt mir doch sowieso keiner, und Sie werden es auch nicht glauben, warum sollten Sie?«
»Weil wir die Leute sind, die den Leuten glauben, denen sonst keiner glaubt«, sagte ich.
»Und wieso soll ich das glauben?«
»Na ja, Sie müssen es mir eben einfach glauben«, antwortete ich.
Weil die Bettdecke bis zu seiner Brust hochgezogen war, konnte man seine Verletzung nicht sehen, aber ich konnte nicht verhindern, dass mein Blick wie magisch angezogen zu seinem Lendenbereich hinunterwanderte – wie man eben immer hinstarren muss, wenn ein Autounfall passiert oder jemand eine furchtbare Warze im Gesicht hat. Er sah, dass ich mich bemühte, nicht hinzuschauen.
»Glauben Sie mir – das wollen Sie nicht sehen«, sagte er.
Ich glaubte es ihm und nahm mir eine Traube von seinem Nachttisch. »Erzählen Sie mir doch einfach, was passiert ist«, schlug ich vor.
Er war mit ein paar Freunden in einem Nachtclub am Leicester Square gewesen. Dort hatte er eine nette junge Frau kennengelernt, die er zuerst gründlich mit Alkohol abgefüllt hatte, um sie dann zu überreden, sich für ein bisschen Knutschen mit ihm in eine dunkle Ecke zurückzuziehen. Im Rückblick war St. John bereit zuzugeben, dass er sie vielleicht ein bisschen zu enthusiastisch bedrängt hatte, aber er hätte schwören können, dass sie eine willige Partnerin gewesen sei und dass alles einvernehmlich passierte oder dass sie jedenfalls nicht allzu strikt widersprochen habe. Den Beamten der Met-Abteilung Sapphire, die in Fällen sexueller Gewaltanwendung ermittelte, musste die Geschichte nur allzu bekannt vorgekommen sein; sie bekamen sie schließlich alle Tage zu hören. Zumindest bis zu der Stelle, wo ihm die Frau den Pimmel abbiss.
»Mit ihrer Vagina?«, fragte ich, nur um ganz sicher zu sein.
»Ja, genau.«
»Und Sie täuschen sich nicht?«
»Mann, bei so einer Sache täuscht man sich nicht.«
»Und Sie sind sicher, dass es Zähne waren?«
»Es fühlte sich wie Zähne an«, sagte er. »Aber um ehrlich zu sein – nachdem es passiert war, hab ich nicht mehr so sehr darauf geachtet.«
»Sie hat Sie also nicht geschnitten, sagen wir mit einem Messer oder vielleicht einem zerbrochenen Bierglas?«
»Ich hielt sie an beiden Händen«, sagte er und machte die entsprechende Geste nach. Sie war ziemlich vage, aber ich bekam trotzdem eine ganz gute Vorstellung davon: Er hatte ihre Handgelenke an die Wand gepresst.
Toller Typ, dachte ich und blätterte zu der Beschreibung, die er bei seiner früheren Aussage von der Frau gegeben hatte. »Sie sagen, sie hatte langes schwarzes Haar, schwarze Augen, blassen Teint und sehr rote Lippen?«
St. John nickte eifrig. »Sie sah irgendwie japanisch aus, war aber keine Japanerin. Hübsch, hatte aber keine Schlitzaugen.«
»Konnten Sie ihre Zähne sehen?«
»Nein, Mann, ich hab Ihnen doch schon gesagt …«
»Nicht
diese
Zähne«, sagte ich. »Sondern die in ihrem Mund.«
»Weiß ich nicht mehr. Ist das denn wichtig?«
»Vielleicht. Sagte sie irgendetwas?«
»Zum Beispiel?«
»Überhaupt irgendwas?«
Er schaute mich völlig perplex an, dachte eine Weile nach und meinte schließlich, dass er nicht glaube, dass sie in der ganzen Zeit, in der er mit ihr zusammen gewesen war, auch nur ein Wort von sich gegeben hatte. Danach stellte ich noch ein paar abschließende Fragen, aber St. John war zu sehr mit dem Ausbluten beschäftigt gewesen, als dass ihm noch irgendetwas aufgefallen wäre. Seine Angreiferin war dann einfach verschwunden, und er hatte nicht mal ihren Namen erfahren, von ihrer Telefonnummer ganz zu schweigen.
Ich sagte, dass er sich ganz gut halte, unter diesen Umständen.
»Im Moment vielleicht«, sagte er. »Ich bekomme ja auch verdammt starke Medikamente. Möchte gar nicht daran denken, was passiert, wenn die Pillen abgesetzt werden.«
Auf dem Weg nach draußen sprach ich noch kurz mit seinen behandelnden Ärzten: Der Penis war nicht gefunden worden. Nachdem ich meine Aufzeichnungen vervollständigt hatte – schließlich handelte es sich hier um eine offizielle polizeiliche Ermittlung – schaute ich noch einen Stock höher bei Lesley vorbei. Sie schlief immer noch, das Gesicht völlig unter den Bandagen verborgen. Ich blieb eine Zeit lang neben ihrem Bett stehen. Dr. Walid hatte
Weitere Kostenlose Bücher