055 - Der Zahn der Hydra
Vicky Bonney räkelte sich. Es war ein wunderschöner Morgen - nicht nur deshalb, weil draußen die Vögel zwitscherten und die Sonne freundlich zum Fenster hereinlachte.
Tony hatte sie zärtlich wachgeküßt und gezeigt, daß er noch sehr viel Interesse an ihr hatte. Immer noch durchrieselten sie angenehme Schauer, und sie freute sich auf den herrlichen Sommertag, den sie mit Tony verbringen würde.
Sie hatten beschlossen, nach Brighton zu fahren und sich dort dem süßen Nichtstun hinzugeben. Vicky hoffte, daß nicht wieder - wie schon so oft - irgend etwas Unerwartetes dazwischenkommen würde.
Ausspannen, Kräfte tanken, Fröhlichsein - ein reichhaltiges Programm für diesen Tag, fand das blonde Mädchen. Tony konnte so einen kleinen Urlaub vertragen.
Vicky machte sich ein bißchen Sorgen um ihn, seit sie von jenen mysteriösen Anfällen wußte, die ihn immer wieder heimsuchten.
Zwar hatte man ihm im Krankenhaus, wo man ihn gründlich untersuchte, bestätigt, daß er kerngesund und topfit wäre, aber um das zu hören, hatte sich Tony nicht in die Klinik gelegt.
Er wollte erfahren, welche Ursache seine Blackouts hatten, und darauf konnten ihm die ratlosen Mediziner keine Antwort geben.
Vicky Bonney schlug die Decke zur Seite und schwang die langen, wohlgeformten Beine aus dem Bett Vor dem offenen Fenster machte sie ein paar Turnübungen, um in Schwung zu kommen, und plötzlich hörte sie, wie im Bad etwas zu Boden fiel und zerschellte.
Das Zahnputzglas, dachte Vicky und schmunzelte.
»Tony Ballard, der Pechvogel«, sagte sie amüsiert. »Der Tag fängt ja gut für dich an.«
Sie griff nach dem Morgenmantel und schlüpfte hinein. Nachdem sie den Gürtel zu einer korrekten Schleife gebunden hatte, verließ sie das Schlafzimmer.
Sie hatte die Absicht, Tony freundschaftlich auszuschimpfen, doch die Worte sollten ihr im Hals steckenbleiben…
***
Feuer!
Verdammt, mein ganzer Kopf brannte, doch ich spürte keine Hitze, und es schmerzte auch nicht.
Da, wo vor wenigen Augenblicken noch mein Gesicht gewesen war, war jetzt nur noch dieses Brennen! Mein Schädel stand total in Flammen!
Hinter mir öffnete sich die Tür. Ich fuhr herum, sah Vicky, sah das Entsetzen in ihrem Gesicht, und dann begann sie grell zu schreien. Sie faßte sich an die Schläfen und schüttelte fortwährend den Kopf, als könnte sie nicht begreifen, was sie sah.
Ich war zum Ungeheuer geworden.
Aber ich fühlte keine Aggression in mir, keinen Mordtrieb. Ich sah in Vicky Bonney keine Feindin, wollte ihr nichts zuleide tun, doch woher hätte sie das wissen sollen?
Die Krankheit, die schon lange in mir geschlummert hatte, die sich immer wieder mit diesen momentanen Blackouts bemerkbar gemacht hatte und deren Ursache Dr. Randolph Williams nicht entdecken konnte, war nun voll zum Ausbruch gekommen.
Vicky wich zurück. Angst und Panik glitzerten in ihren veilchenblauen Augen. Ihre Schreie alarmierten die anderen Hausbewohner. Stimmen wurden laut, Türen knallten, und dann sah ich Mr. Silver, Boram und Roxane.
Und sie sahen mich!
»Tony!« schrie der Ex-Dämon. Sein Blick pendelte zwischen Vicky Bonney und mir hin und her. »Wie ist es dazu gekommen?« wollte er von meiner Freundin wissen.
»Ich… ich habe keine Ahnung«, stammelte Vicky. Sie wies auf die Scherben des Zahnputzglases, das ich mit einer ungewollten Handbewegung heruntergefegt hatte. »Ich hörte Glas klirren und wollte nachsehen… O mein Gott, du mußt Tony helfen, Silver!«
Mir fiel auf, daß Roxane gefiel, was mit mir passiert war. Kein Wunder, sie war nicht mehr ausschließlich unsere Freundin. Zur Hälfte befand sich Arma, eine gefährliche Zauberin, in ihr, und diese freute sich bestimmt diebisch über mein Unglück.
Mr. Silver bedeutete allen, hinter ihm zu bleiben.
Boram, der weiße Vampir, wartete gespannt ab. Er würde mich angreifen, sobald zu erkennen war, daß ich die Seiten gewechselt hatte, denn er bekämpfte alles, was bösen Ursprungs war.
Vicky Bonney biß sich in die Faust. Ich sah, wie sie zitterte und konnte ihr Entsetzen verstehen. Ich war selbst so schwer geschockt, daß ich kein Wort sagen konnte.
War ich überhaupt noch fähig, mich mitzuteilen?
Der Hüne mit den Silberhaaren kam langsam auf mich zu. Ich sah, daß sich auf seiner Haut ein silbriges Flirren bildete, ein Zeichen dafür, daß er erregt war und mir nicht mehr traute.
Ich nahm ihm das nicht übel. Wäre ich an seiner Stelle gewesen, hätte ich mir auch mißtraut.
Seine Muskeln
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